© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/21 / 08. Oktober 2021

Ideologie und Dirigismus bei den Grünen
Ziel ist der allmächtige Staat
Rupert Pritzl und Fritz Söllner

Wie die zurückliegenden Landtagswahlen und die aktuelle Bundestagswahl gezeigt haben, kann das Thema Klimawandel die Wähler, insbesondere die jungen Wähler, mobilisieren und den Grünen beachtliche Erfolge bescheren. Da dies den anderen Parteien nicht verborgen geblieben ist, hat sich die Klimapolitik zu einem gesellschaftlichen Thema ersten Ranges gemausert. Vor allem bei den Grünen ist die Klimapolitik darüber hinaus auch zu einem Sammelbecken grundlegender Gesellschafts- und Kapitalismuskritik geworden. Deshalb werden an der Klimapolitik die zentralen Charakteristika des Denkens und Handelns der Grünen besonders deutlich.

Die Grünen bezeichnen sich selbst als die „moralischste aller Parteien in Deutschland“ – so Boris Palmer, Oberbürgermeister von Tübingen und (noch) Parteimitglied der Grünen. Und tatsächlich betreiben die Grünen eine stark moralisch geprägte Politik, die auf deutlichen (impliziten oder expliziten) Werturteilen beruht. 

Als Ursache für die Klimakrise sehen die Grünen die weitverbreitete „niedrige“ und „böse“ Gesinnung vieler Menschen. Das Weltklima werde destabilisiert, weil böswillige und rücksichtslose Menschen das Klima absichtlich gefährden, um ihre egoistischen Ziele zu verfolgen. Diese Sichtweise schafft ein klares moralisches Feindbild und erlaubt es den Grünen, die Welt gemäß einem Gut-Böse-Schema einzuteilen und ihre eigene moralische Überlegenheit gegenüber anderen herauszustellen. Denn aus Sicht der Grünen wird gutes Handeln allein durch eine gute Gesinnung zum Ausdruck gebracht und nicht etwa durch positive Handlungsfolgen.

Diese gesinnungsethische Sichtweise entbindet die gut gesinnten Menschen davon, sich über die tatsächlichen Folgen ihres eigenen Tuns zu informieren und dieses zu rechtfertigen. Die gute Absicht allein legitimiert das eigene Handeln. Ob der eigentliche Handlungszweck auch tatsächlich erreicht wird, ist dann weitgehend unerheblich.

Bei den Grünen kommt es zu einer Verwechslung von Wünschenswertem und tatsächlichem Wissen über die Realität oder man könnte auch formulieren: von gefühlter und tatsächlicher Wahrheit. Diese Verwechslung hat zur Folge, daß mögliche Nebenwirkungen nicht berück-sichtigt, Zielkonflikte nicht beachtet werden und es so zu simplifizierten Lösungsvorschlägen kommt.

Das politische Angebot, das die Grünen den Wählern unterbreiten, ist ein moralisch-fürsorglicher Staat. Dieses Angebot wird vor allem dann nachgefragt, wenn gesellschaftliche Probleme, Krisen oder Katastrophen tatsächlich drohen oder von Politik und Medien an die Wand gemalt werden. Ein zentrales Politikelement der Grünen besteht deshalb darin, zunächst vermeintliche gesellschaftliche Krisen und Bedrohungen zu skizzieren und dann staatlichen Schutz anzubieten. In einer apokalyptischen Sprache und in einem alarmistischen Tonfall beschreiben die Grünen die herannahende „Klimakatastrophe“, machen den Men-schen Angst und versetzen sie in Panik. Der verängstigte Bürger soll gar nicht erst an Eigeninitiative, individuelle Verantwortung und rationales Handeln denken, sondern all seine Hoffnungen in den fürsorglichen Staat setzen, den die Grünen in Aussicht stellen.

Die Legitimation ihres Handelns erfahren die Grünen vor allem durch den Schutz des Klimas und die Erhaltung der Erde selbst. Gemäß ihres Wahlprogramms streben sie nicht einen menschenwürdigen Wohlstand, sondern einen „klimagerechten Wohlstand“ an. Sie sehen es als ihre höchste Verpflichtung, zum Schutz des Klimas alles zu unternehmen und diesem Ziel alles unterzuordnen, da eine Klimakatastrophe unmittelbar bevorstehe.

Die Politik und insbesondere die Klimapolitik der Grünen ist stark ideologiegeprägt, da der Klimaschutz zur alles entscheidenden „Überlebensfrage der Menschheit“ erhoben und als das höchste und wichtigste gesellschaftliche Ziel verabsolutiert wird, dem sich alle anderen Ziele unterzuordnen haben. Die Grünen fordern ein „klimagerechtes Wirtschaften“, bei dem die Wünsche und Bedürfnisse der Menschen nur noch eine untergeordnete Rolle spielen. Kompromisse mit anderen gesellschaftlichen Zielen müssen und dürfen bei einer Verabsolutierung des Klimaziels nicht gemacht werden. Und natürlich sind alle Mittel und Instrumente recht und billig, um dieses Ziel zu erreichen – notfalls auch die bewußte Verletzung demokratischer und rechtsstaatlicher Prinzipien.

Die Ideologielastigkeit der grünen Klimapolitik kommt auch dadurch zum Ausdruck, daß viele der von den Grünen vorgeschlagenen Maßnahmen keinen Beitrag zu einer rationalen Lösung des Klimaproblems darstellen, sondern nur der Propagierung der eigenen Weltanschauung dienen. Denn viele energie- und klimapolitische Vorhaben entpuppen sich bei näherer Betrachtung als reines Wunschdenken und als Illusion, wenn sie mit den harten Tatsachen der ökonomischen und naturwissenschaftlichen Realität konfrontiert werden. Klimaschutz als Mobilisierungsstrategie ist deshalb für die Grünen viel wichtiger, als nach Effizienz und Effektivität klimapolitischer Instrumente zu fragen. Um Robert Habeck aus seinem Buch „Von hier an anders“ (2021, S. 251) zu zitieren: „Die Klimakrise bzw. die Frage, mit welchen Mitteln man sie bekämpfen soll, wird eben nicht nur als ökonomische Debatte geführt, sondern auch als kulturelle.“

Die Grünen verbinden moralischen Anspruch und ideologische Überzeugung mit einem ausgeprägten Konstruktivismus und einer Tendenz zum Dirigismus. Sie haben ganz konkrete Vorstellungen davon, wie welche gesellschaftlichen Bereiche zu funktionieren haben und welche gesellschaftlichen Ergebnisse erwünscht sind. Dabei denken die Grünen vor allem in Verboten und staatlichen Vorgaben, mit denen sie bei zahlreichen Themen und in vielen gesellschaftlichen Bereichen das politisch Gewünschte unmittelbar und schnellstmöglich herbeiführen möchten. Die Verbots- und Ausstiegsliste der Grünen ist so lang, daß sich deren Vertreter bemühen müssen, diese zu verniedlichen. So spricht Katrin Göring-Eckardt nicht von Verboten, sondern von „radikal-realistischen Forderungen“, und Robert Habeck deutet die Grünen gleich als „Gestaltungspartei“ um.

Dieses Streben nach „Gestaltung“ wird motiviert durch das Gerechtigkeitsverständnis und Menschenbild der Grünen. Sie kritisieren die Verteilungsergebnisse des Marktes per se als ungerecht und unsozial und lehnen damit Leistungsgerechtigkeit beziehungsweise Regelgerechtigkeit als gesellschaftliche Prinzipien ab. Die Grünen konzentrieren ihren Blick auf die Ergebnisse und fordern Ergebnisgerechtigkeit oder gleich gesellschaftliche Gleichheit. Damit verlieren sie aber den Prozeß der Ergebniserstellung, also den eigentlichen Produktionsprozeß, aus den Augen, der sie höchstens am Rande noch interessiert. Daß staatliche Eingriffe in den Preismechanismus zwangsläufig zu einer Verknappung des Angebots, verbunden mit Warteschlangen und bürokratischer Zuteilung, führen, blenden sie mit Verweis auf ihre hehren Ziele großzügig aus.

Dieser unmittelbare Fokus auf die gesellschaftlichen Ergebnisse bietet den Grünen viel Spielraum bei einer moralischen Interpretation der Marktergebnisse und – häufig – ihrer Ablehnung. Damit einher geht eine offene oder versteckt vorgetragene Wachstums- und Kapitalismuskritik. Die Klimapolitik sehen daher viele als einen geeigneten Weg, das aus anderen Gründen schon immer unerwünschte private Unternehmertum und den unliebsamen Wettbewerb auszuhebeln.

Nicht ohne Grund offenbart das Wahlprogramm der Grünen – nach Ansicht des Bundesverbandes der Deutschen Industrie – ein „ausgeprägt dirigistisches Staatsverständnis, das mit einer sehr eingeengten Perspektive auf ein Staatsziel Klimaschutz Grundsätze der sozialen Marktwirtschaft durch Konzepte staatlicher Lenkung und Umverteilung ersetzen will“.

Die Vielzahl von Verboten, Beschränkungen und Technologievorgaben und die staatliche Mikrosteuerung in allen Bereichen des Lebens, so wie sie die Grünen fordern, sind Elemente einer anderen Gesellschaftsordnung, in der der Staat das Leben und Wirtschaften der Menschen steuert – ohne Rücksicht auf wirtschaftliche Machbarkeit. Die bisherige soziale Marktwirtschaft von Ludwig Erhard und Alfred Müller-Armack gilt es durch eine „globale sozial-ökologische Transformation“ zu überwinden – mit dem Ziel, daß sich alle wirtschaftlichen Aktivitäten am „gesamtgesellschaftlichen Wohlstand“ ausrichten (so das Grünen-Grundsatzprogramm von 2020).

Solche Ergebnisse lassen sich aber nur erreichen, wenn der Staat massiv in den Wettbewerb eingreift und nach seinen Gerechtigkeitsvorstellungen das Wettbewerbsergebnis bestimmt. Annalena Baerbock gibt das auch zu: „Wir müssen radikal sein und ganz offen einen Systemwechsel verlangen“ (zitiert nach Die Zeit, 21. Mai 2021, S. 9: „Annalena Baerbock: Endet der Hype?“). Und für diesen Systemwechsel ist nichts besser geeignet als die Klimapolitik, mit der freiheitliche und marktwirtschaftliche Prinzipien außer Kraft gesetzt und eine Renaissance staatsdirigistischer Ideen eingeleitet werden können. Diese Tendenzen lassen sich schon heute beobachten; sie werden sich im Zuge des Green Deal der EU noch wesentlich verstärken. Wir sind auf dem besten Wege zu einer ökologisch-moralisch begründeten Bevormundungsgesellschaft, der von vielen Grünen so sehr ersehnten Ökodiktatur.

Die Grünen wollen nicht kurz vor ihrem Ziel noch scheitern. Deshalb verbitten sie sich jegliche Kritik an der klimawissenschaftlichen Mehrheitsmeinung und ihren moralischen Grundpositionen. Sie sind weniger an einer ergebnisoffenen Diskussion und an der Suche nach den geeignetsten klimapolitischen Instrumenten interessiert, als an einer Bestätigung ihrer weltanschaulichen Vorstellungen. Das Diskreditieren von Kritikern als „Klimaleugnern“ zeugt von einem wenig demokratischen Gesellschafts- und wenig offenen Diskursverständnis.

Ob die Grünen ihr Ziel tatsächlich erreichen, hängt von den Bürgern ab. Solange sie sich weiter mit Gesinnung und Moral zufriedengeben und nicht sachgerechte Lösungsvorschläge einfordern, haben die Grünen nicht nur keinen Anreiz, von ihrer gesinnungsethischen Stra-tegie abzurücken, sondern die anderen Parteien vielmehr einen Anreiz, diese nachzuahmen. Die Bürger und Wähler – und die mediale Öffentlichkeit – müßten endlich eine offene und vorurteilsfreie Diskussion verlangen und Wert auf Verantwortung, Vernunft und Urteilskraft legen. Nur so bestünde die Aussicht, daß in der Politik wieder ein angemessenes Verhältnis zwischen Gesinnung und Verantwortung und zwischen Moral und Vernunft hergestellt wird.

Nach den Erfahrungen der zurückliegenden Bundestagswahl scheint es leider so, als ob wir darauf noch länger warten müßten. Einen Hoffnungsschimmer könnte man allenfalls darin erblicken, daß die Grünen zumindest von Teilen der Wählerschaft heute kritischer als noch vor wenigen Monaten gesehen wurden: Im Mai ermittelten Umfrageinstitute an die 28 Prozent Zustimmung für die Partei. So schlimm ist es dann doch nicht gekommen.






Dr. Rupert Pritzl, Jahrgang 1966, ist seit 1997 im Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie tätig und Lehrbeauftragter an der FOM Hochschule, München. Er gibt hier seine persönliche Meinung wieder.

Prof. Dr. Fritz Söllner, Jahrgang 1963, ist Inhaber des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre an der TU Ilmenau. Zuvor lehrte er an der Universität Bayreuth und war John F. Kennedy-Fellow in Harvard.