© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/21 / 08. Oktober 2021

Ein ungesühnter Terrorakt
Der Mord an Diplomat Gerold von Braunmühl durch die RAF
Jürgen W. Schmidt

Wie immer arbeitete der aus Breslau gebürtige 51jährige Ministerialdirektor Gerold von Braunmühl am 10. Oktober 1986 noch lange in den Abend hinein im Auswärtigen Amt in Bonn. Der für die Beziehungen zu Westeuropa und zur Nato zuständige Abteilungsleiter galt dort als geistiger „Ziehsohn“ von Außenminister Genscher, welcher von dem promovierten Juristen behauptete: „Alles, was der Mann vorlegt, ist so astrein, das könnte ich blind übernehmen.“ 

Kurz nach 21 Uhr läßt er sich durch ein Taxi nach Hause fahren. Braunmühl ahnte nicht, daß ihn die RAF schon längere Zeit observierte und deshalb den Taxi-Funkverkehr gezielt abhörte. Gegen halb zehn vor seinem Haus in Bonn-Ippendorf angekommen, reicht der Taxifahrer seinem Fahrgast Braunmühl dessen beide Aktentaschen, als eine kleine Gestalt, vermummt mit einer Wollmütze, aus der Dunkelheit auftaucht. Der Täter, mutmaßlich eine Frau, schießt Braunmühl wortlos zweimal in den Oberkörper. Es ist dieselbe Pistole, mit der bereits Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer im Jahr 1977 ermordet wurde. Entsetzt flieht der Taxifahrer, denn nun taucht ein weiterer, größerer Vermummter auf, der nach Mafia-Manier dem sterbenden von Braunmühl zwei sogenannte „Fangschüsse“ in den Kopf erteilt. Er greift sich dann eine Aktentasche mit bis heute verschwundenen Dokumenten, unter anderem über interne Absprachen zwischen den G7-Staaten, und flieht mit dem anderen Täter in einem dunkelroten Opel-Kadett. Die RAF veröffentlicht noch am gleichen Tag ein Bekennerschreiben, in dem sie die Mordtat des „Kommando Ingrid Schubert“ als Angriff auf den „aggressiven brd-staatsapparat in seiner funktion als kernstaat der politischen formierung westeuropas in der imperialistischen kriegsstrategie“ verherrlicht. 

Wie spätere Ermittlungen ergeben, stammte die zweite Tatwaffe aus einem RAF-Überfall auf das Waffengeschäft Walla in Maxdorf bei Ludwigshafen im November 1984. Das ist aber auch das einzige handfeste Detail, welches die Experten von Polizei und Geheimdiensten bei diesem Mord herausfinden können. Man vermutet heute, daß der Braunmühl-Mord von dem als äußerst brutal geltenden RAF-Terroristen Horst Ludwig Meyer und dessen damaliger Ehefrau ausgeführt wurde. Genau werden wir es allerdings nie erfahren, denn Meyer, der danach in den Libanon abgetaucht war und seit 1995 unter falscher Identität in Wien lebte, starb am 15. September 1999 in einem Feuergefecht mit österreichischen Sonderpolizisten der Anti-Terror-Einheit WEGA. 

Aufgrund der ergebnislosen polizeilichen Untersuchungen wenden sich die Geschwister des ermordeten von Braunmühl, der Frau und drei Kinder hinterließ,  einen Monat nach der Tat, am 7. November 1986, mit einem erschütternden Aufruf „An die Mörder unseres Bruders“ an die Öffentlichkeit. Sie publizieren diesen in der taz, deren Leserschaft teilweise bis ins RAF-Unterstützermilieu reicht. Darin heißt es unter anderem: „Einer menschenwürdigen Welt werdet Ihr uns mit Euren Morden kein Stück näher bringen. Hört auf. Kommt zurück. Habt den Mut, Euer geistiges Mordwerkzeug zu überprüfen.“