© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/21 / 08. Oktober 2021

Ein ständiger Abwehrkampf
Andreas Abros erzählt die Geschichte des von äußeren Mächten stets gefährdeten Abendlandes
Arnulf Rall

Was macht ein großes geschichtliches Werk aus? Ein welthistorisches Thema in entscheidenden Perioden durch zwei Jahrtausende und an unterschiedlichen Schauplätzen souverän und seriös recherchiert zu erzählen. Dies ist Andreas Abros in seinem Werk zu den Abwehrkämpfen des hellenistisch-römisch-christlichen Abendlandes ganz vorzüglich gelungen. Das Buch ist sehr lesbar und spannend, obwohl zugleich stilistisch anspruchsvoll und faktenreich kompakt geschrieben, und präsentiert sehr schön und anschaulich die jeweiligen Hintergründe der entscheidenden Kämpfe und Akteure. Während das Werk mit dem Beginn der europäischen Weltexpansion im 17. Jahrhundert endet, ist es zugleich eine sehr beunruhigende Lektüre, was die Rückschlüsse auf unsere zeitgenössische nationale, gesellschaftliche und kulturelle Selbstaufgabe der zivilisatorischen Errungenschaften angeht. Doch auch damals lähmte oft innerer Hader und Verrat in den eigenen Reihen. Ihre opferreiche Bewältigung führte nicht zuletzt zur Stärkung einer gemeinsamen europäischen Identität gegenüber den Bedrohungen von Persern, Hunnen und Mongolen bis zu den Arabern und Türken.

Die neun dramatischen Erzählungen beginnen mit der griechischen Abwehr des überlegenen persischen Heeres des Xerxes bei Marathon und den Thermopylen und der Seeschlacht von Salamis 480 v. Chr., ohne die die attische Städtedemokratie sich nicht hätte entwickeln können. Nach der Teilung des römischen Reiches 395 n. Chr. in das lateinisch geprägte Westrom und das griechisch geprägte Ostrom erlaubte man im geschwächten Westen die kompakte Niederlassung von Germanenstämmen, wie der Goten in Thrakien, die sich bald unabhängig machten und Plünderungszüge innerhalb des Reiches unternahmen. 

Mongolen und Osmanen bedrohten Europa über Jahrhunderte

Mit dem Zusammenbruch der Außengrenzen unternahmen die Hunnen als zentralasiatische Nomaden verheerende Raubzüge, bis ein vereinigtes römisch-germanisches Heer diese auf den Katalaunischen Feldern 451 stoppen konnte. Dagegen blieb Byzanz mit seiner mächtigsten Verteidigungsanlage und größten Kirche – im Gegensatz zum mehrfach geplünderten Rom – die Metropole der Christenheit in der Spätantike, mußte sich allerdings nach den Gebietsverlusten im damals christlichen Nahen Osten (Mesopotamien, Syrien, Ägypten) gegen die Mohammedaner auch des Einfalls des Bulgaren-Khans aus der südrussischen Steppe erwehren. Ab 700 war die ganze Südküste des Mittelmeers unter islamischer Kontrolle. Noch konnte sich Konstantinopel 674 und 717 zweier Angriffe des Sultans erfolgreich erwehren und blieb für weitere 500 Jahre die östliche Bastion des Abendlandes. Im Westen dagegen waren die Araber schon 711 in Gibraltar gelandet, und, nachdem sie das Westgotenreich zerschlagen hatten, unternahmen Feldzüge durch das südliche und westliche Frankenreich, bis sie Karl Martell 732 bei Poitiers schlagen konnte und so weitere Ausfälle der Araber unterband. 

Mit der Abwehr der Wikinger-Einfälle aus Haithabu und der Raubzüge und Brandschatzungen der Ungarn, die Basel zerstörten und selbst Bremen plünderten, gelang es zunächst dem Sachsen Heinrich I. an der Unstrut, dann seinem Sohn Otto dem Großen 955 auf dem Lechfeld bei Augsburg den Einfällen ein Ende zu machen und die Ungarn zur Seßhaftigkeit und Christianisierung zu zwingen. Darüber hinaus weckte der erfolgreiche Abwehrkampf erstmals Ansätze einer gemeinsamen deutschen Identität. Durch die beginnende Slawenmission rückte Deutschland von einer bedrängten Randlage in das Zentrum des Kontinents.

Im Osten dagegen wurde das Kiewer Reich der Rus, das unter dem kulturellen Einfluß von Byzanz stand, von den Reiterhorden des Dschingis Khan zusammen mit Tataren aus Zentralasien zwischen 1223 und 1252 zerschlagen. Weitere Vorstöße bis nach Ungarn und Schlesien wurden trotz der für sie siegreichen Schlacht bei Liegnitz 1241 abgebrochen. Für die russischen Fürstentümer begann das fast 150jährige Tatarenjoch. Erst 1380 gelang es Dimitri Donskoi, dem Herrscher des Moskauer Fürstentums auf dem Schnepfenfeld jenseits des Don die „Goldene Horde“ zu schlagen und mit der „Sammlung russischer Erde“ zu beginnen. 

Im 14. Jahrhundert begannen die Osmanen erneut nach Westen vorzustoßen, unterwarfen Kleinasien und stießen auf den Balkan vor, wo sie nach der Unterwerfung der Bulgaren 1389 die Serben auf dem Amselfeld schlugen. Sie unterbrachen ihren Eroberungszug zunächst, weil in Mesopotamien und Anatolien Tamerlan aus Zentralasien eingebrochen war, traten dann aber gegen das geschwächte Byzanz, das ohne effektive Hilfe blieb, 1453 zum letzten Sturm an. Nach dem Fall Konstantinopels und der Ermordung und Versklavung seiner Einwohner wurde Moskau von der Orthodoxie zum dritten und letzten Rom erklärt. 

Auch im westlichen Mittelmeer führten die nordafrikanischen Korsaren jahrhundertelang Sklavenjagden durch, die die Inseln und Küstenstriche verheerten und die Seeschiffahrt zum Erliegen brachte. Erst mit der erfolgreichen Verteidigung Maltas durch Jean de la Valette 1565 und der Seeschlacht von Lepanto durch Don Juan de Austria 1571 gegen jeweils erdrückende Übermachten konnte der osmanische Vormarsch zur See gestoppt werden. Die Piraterie wurde freilich erst durch die französische Kolonisation Nordafrikas im frühen 19. Jahrhundert beendet. 

Im letzten Moment gelang Rettung des Abendlandes 1683 vor Wien

Nachdem die erste Belagerung Wiens 1529 noch glimpflich abgewehrt werden konnte, war die von 1683 viel bedrohlicher: der Sultan hatte alle Hilfsvölker seines Reiches aufgeboten: Krimtataren, Anatolier, Syrer, Ägypter, und er war mit dem französischen König Ludwig XIV. verbündet, der 1681 Straßburg annektiert hatte und jenseits des Rheins expandieren wollte. Zudem war das Reich nach dem Dreißigjährigen Krieg ausgeblutet und die Solidarität der Reichsfürsten mit den Habsburgern gering. Nachdem die Türken ganz Ostösterreich und Westungarn verwüstet hatten, gelang es bekanntlich einem polnisch-sächsischen Entsatzheer in letzter Minute, den türkischen Belagerungsring zu sprengen. Den Habsburgern gelang es in den folgenden Jahrzehnten bis 1717, die nördliche Balkanhalbinsel bis Belgrad von der Türkenherrschaft zu befreien. 

Dem Autor gelingt es in dem knapp und lebendig geschriebenen Geschichtsbuch, jene weitgehend vergessenen und politisch absichtsvoll verdrängten Verteidiger des Abendlands, ihre Opfer und Heldentaten, wieder in Erinnerung zu rufen. 

Andreas Abros: Verteidiger des Abendlandes. Gerhard Hess Verlag, Bad Schussenried 2021,broschiert, 232 Seiten, 16,80 Euro

Foto: Schlacht bei Liegnitz am 9. April 1241, Mongolen besiegen das polnisch-deutsche Ritterheer unter Herzog Heinrich II. von Schlesien: Europa lag fast schutzlos da