© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/21 / 08. Oktober 2021

Neigung zum Schlendrian
Frank Böckelmanns stilles Leiden an den „Säumigen“
Werner Olles

Der Band „Die Säumigen“ ist die erste Prosaveröffentlichung des Publizisten Frank Böckelmann. Sie beginnt mit der Leidensgeschichte von Gabor Schmidt (einem Alter ego des Autors), der sich durchgängig „in allen Phasen seines Arbeitslebens mit säumigen Mitarbeitern abplagen mußte und dafür auch noch die Hauptschuld zugewiesen erhielt“. Sein Leidensweg mit „chronischen Versagern, Schludrigen und Lebenszeitverschwendern, schlampigen und schamlos entkräfteten Naturen“ erweist sich als Verlust und führt ihn in die Falle der Notpläne und Aufschübe, den „der Dauerdienst an den Untröstlichen, Wankenden, unermüdlich Versagenden“ unweigerlich mit sich brachte. Selbst das Lebensmotto „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut“ oder die leicht abgenutzte Prophezeiung „Wir schaffen das schon“ halfen irgendwann nicht mehr. Die chronisch Überforderten, Lückenlasser, Gesprächsblender, Kapitulanten und Wanderer ins Nichts genossen ihr Versagen inmitten eines rastlosen, wirren Weltgeschehens mit jener pseudosouveränen Unverklemmtheit eines allgemeinen Lebensprinzips und der Zuckergußvariante einer zerstückelten Wirklichkeit, die selbstästhetisierende Charaktere auf Knopfdruck herausbilden. Allein Gabor Schmidt spürte ihre Patschhändchenschläge, an die er sich gewöhnte wie der Pinguin an die Eiswüste und der Landser an den Schützengraben.

Auch Dennis, der säumige Student, der an der Uni Devianztheorie, Kunstsoziologie und Slavistik belegte, doch im ersten Semester in die Redaktion der Zeitschrift Politischer Urbanismus eintrat, erweist sich gerade in seiner eher linken Variante als eine geniale Mischung aus Selbstbetrug und Roßtäuscherei, die haarscharf an der ersehnten Eleganz vorbeisegelt. Dennis entlarvte die Thesen der verordneten Standardwerke als Herrschaftswissen, hielt die Unvereinbarkeit von Hütten und Palästen für endgültig bewiesen, blieb aber immer ein „Minimalstudent“. Als gegen Ende seines Studiums immer mehr Professoren so ähnlich sprachen wie er selbst, begann er an der Linie der Redaktion zu zweifeln. Er verstand plötzlich, daß sich der alte Linksradikalismus zum bloßen Gestus verdünnisiert hatte, bis schließlich von ihm nur die Gute-Laune-Simulation und das Grinsen der Katze aus Carrols „Alice im Wunderland“ übrigblieb.

Zum guten Schluß kommt der Autor zur Kardinalfrage „Was bin ich?“ und enthüllt seine verborgene Seite: „In der Beflissenheit zu überleben, habe ich es versäumt, mich ziehen zu lassen. Tiefes Ausatmen: Ich bin auf Transport. Mit leichtem Gepäck unterwegs. Zurücklassen, was ich angesammelt und in mich hineingefressen habe. Damit die anderen zu sprechen beginnen.“

Frank Böckelmann: Die Säumigen. Prosa. Manuskriptum Verlag, Lüdinghausen und Neuruppin 2021, gebunden, 185 Seiten, 19 Euro