© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/21 / 15. Oktober 2021

Urteil des polnischen Verfassungsgerichts
Totengräber sitzen in Brüssel
Albrecht Rothacher

Vergangene Woche verkündete der polnische Verfassungsgerichtshof seine lang erwartete Entscheidung des Vorrangs polnischen Verfassungsrechts vor EU-Normen und vor Urteilen des Europäischen Gerichtshofes. Der strittige Auslöser war die Justizreform der konservativen PiS-Regierung, laut der unter anderem Disziplinarkammern die Entscheidungen der Richter, die der kommunistischen Ära entstammen, untersuchen sollen. Für Regierung und Verfassungsgericht in Warschau handeln die EU-Organe zunehmend außerhalb der Kompetenz, die ihnen von Polen bei seinem EU-Beitritt zugebilligt wurde. 

Das Urteil ist richtig, muß aber keinesfalls zum „Polexit“ führen. Es sei denn die politische Klasse in Brüssel ist auf Konflikt gebürstet und macht ihre Drohungen wahr, Polen alle EU-Fördermittel einschließlich des Milliarden-Mannas der Corona-Aufbaufonds (die, da schuldenfinanziert, ihrerseits ebenfalls vertragswidrig sind) wegen politischer Unbotmäßigkeit zu streichen. Viktor Orbán nannte das Warschauer Urteil zu Recht eine Folge der „schlechten Praxis der europäischen Institutionen“ und ihrer hemmungslosen Macht- und Amtsanmaßung durch schleichende Kompetenzausweitungen, die rechtlich kaum noch überprüfbar sind. Dies zeigt sich auch in der Aufzwingung eines zunehmend linkradikalen Interpretationsmusters von Termini wie „Toleranz“ oder „Vielfalt“. Die Totengräber einer abendländischen EU sitzen in Brüssel, Luxemburg, Paris und Berlin, nicht in Warschau, Budapest oder Laibach.