© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/21 / 15. Oktober 2021

„Weder Belege noch Beweise“
Der Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt hat das Institut für Staatspolitik für ‘rechtsextrem’ erklärt: Dessen Geschäftsführer Erik Lehnert wehrt sich, legitime demokratische Kritik werde politisch kriminalisiert – für eine Kampagne gegen die AfD
Moritz Schwarz

Herr Dr. Lehnert, betrachtet Sie der Landesverfassungsschutz (VS) von Sachsen-Anhalt zu Recht als „gesichert rechtsextrem“?

Erik Lehnert: Nein, und seine Begründung dafür ist wirklich abenteuerlich.

Inwiefern?

Lehnert: Erstens besteht diese nur aus bloßen Behauptungen, enthält also – anders als viele Bürger glauben – keinerlei Belege oder Beweise. Zweitens hört der VS das Beobachtungsobjekt nicht an, sondern legt dessen Inhalte einfach nach eigenem Ermessen aus, so daß wir für Positionen beschuldigt werden, die wir überhaupt nicht vertreten. 

Zum Beispiel? 

Lehnert: Vor allem, wir verstießen „gegen das Prinzip der Unantastbarkeit der Menschenwürde nach Artikel 1 des Grundgesetzes“ – das ist auch das eigentlich abenteuerliche Element der Beschuldigung. Zum einen, weil es diesen Vorwurf bis vor wenigen Jahren gar nicht gab. Bis dahin galt als Kriterium für Extremismus, daß man sich aktiv gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung wendet. Seitdem genügt nun – zum anderen – der schlichte Vorwurf, Personengruppen zu „exkludieren“ und so ihrer Würde zu berauben. 

Konkret charakterisierten, so der zentrale Vorwurf des Verfassungsschutzes Sachsen-Anhalt, „rassistische und biologistische Sichtweisen“ Ihr Institut, dessen „ideologischer Wesenskern der ‘Ethnopluralismus’ darstellt“. 

Lehnert: Der Begriff Ethnopluralismus, den ich übrigens gar nicht verwende, besagt nichts anderes, als daß es verschiedene Völker gibt und diese auch bewahrt werden sollten – nicht nur in Afrika, sondern auch in Europa.

Das sieht der VS anders: „Ethnopluralismus ... klammert alle Menschen, die nicht den eigenen ethnischen Voraussetzungen entsprechen, aus dem Staatsvolk aus“. Wollen Sie also Friesen, Dänen und Sorben, unsere nationalen Minderheiten, sowie sämtliche assimilierten und naturalisierten Einwanderer ausbürgern?

Lehnert: Nein, und das zeigt den kompletten Unsinn dieser böswilligen Interpretation des VS. Denn ein ethnischer Volksbegriff ist kein rassischer Volksbegriff, was der VS aber offenbar nicht auseinanderhalten kann. Der Ethnopluralismus ist eine konservative Idee, die auf die kulturelle Identität der Völker abhebt. Und nicht eine völkische Idee, die auf einer biologischen Identität fußt. Der Ethnopluralismus fordert also keine homogenen Völker, sondern anerkennt eine historisch gewachsene – was äußere Einflüsse einschließt – Ethnie, die vor allem durch ihre Kultur eine Einheit darstellt und sich in einem Staat manifestiert. In dem es natürlich auch nationale Minderheiten geben kann, wie das in Deutschland auch schon immer der Fall war. Der Ethnopluralismus macht sich für diese Minderheiten stark und will sie nicht unterdrücken. Und daher sind auch die VS-Vorwürfe „biologistisch“ und „rassistisch“ abwegig. Wobei letzterer schon deshalb absurd ist, weil der Begriff inzwischen auf alles angewandt wird, sogar auf das bloße Hinweisen auf Unterschiede. Womit wir bei der nächsten Stufe der böswilligen Interpretation sind, nämlich der Behauptung, überhaupt zwischen Deutschen und Nicht-Deutschen zu unterscheiden, setze die Würde letzterer herab. Wodurch bereits der traditionelle ethnische Volksbegriff – der übrigens der des Grundgesetzes ist und bis 2000 Grundlage des deutschen Staatsbürgerrechts war – die Menschenwürde verletze. Das hat das Bundesverfassungsgericht übrigens erst 2017 in seinem Urteil im gescheiterten NPD-Verbotsverfahren „entdeckt“. Seitdem läßt sich damit bei Bedarf jede Kritik an Einwanderung und ihren Folgen als „extremistisch“ geißeln. 

Wieso war das so einfach möglich? 

Lehnert: Das Gericht hatte freie Hand, da die Menschenwürde nicht klar definiert ist. Es ist nämlich kein rechtlicher, sondern ein philosophischer Begriff des Abendlandes. Hier erkannte man im Menschen zunächst Gottes Ebenbild. Im Laufe der Zeit kamen weitere Merkmale hinzu, wie persönliche Freiheit oder im Zuge der sozialen Frage menschenwürdige Lebensumstände. Der Begriff ist also auslegbar und damit leicht zu manipulieren. Tatsächlich war es nicht so, daß der Inhalt des Begriffs das Bundesverfassungsgericht 2017 zu seiner Ausweitung quasi gezwungen hätte. Vielmehr war es das Gericht, das den Begriff benutzte, um eine neue Auslegung der Menschenwürde durchzusetzen.

Seit 2020 hat der Landesverfassungsschutz das IfS als „Verdachtsfall“ geführt. Warum kommt Ihrer Ansicht nach jetzt die Hochstufung zu „gesichert rechtsextrem“?

Lehnert: Das steht in Zusammenhang mit der Kampagne des Bundesverfassungsschutzes gegen die AfD, die mit dem Maaßen-Nachfolger Thomas Haldenwang als Präsident des Amtes neuen Schub bekommen hat. Der hält die AfD bekanntlich als Ganzes für rechtsextrem, hat aber vor mehreren Verwaltungsgerichten Niederlagen kassiert. So verlegt er sich nun darauf – wozu er übrigens von der Presse aufgefordert wurde –, die „Ränder“ der AfD, den sogenannten vorpolitischen Raum, zu beschneiden. Denn der ist juristisch viel leichter anzugreifen als die AfD, die als Partei, im Gegensatz zu einem bloßen Verein wie uns, einen höheren grundgesetzlichen Schutz genießt. 

Sie meinen, es geht um die Bekämpfung von Opposition mit außerdemokratischen Mitteln? 

Lehnert: Es gibt für mich keinen Zweifel, daß nicht wir das eigentliche Ziel sind, sondern die AfD. 

Ihr Institut gilt als die Denkfabrik des inzwischen aufgelösten „Flügels“ der Partei.

Lehnert: Dem widerspreche ich nachdrücklich: Wir sind nicht an die AfD gebunden, auch nicht an den ehemaligen Flügel! 

Viele Ex-Flügelleute wie Hans-Thomas Tillschneider, Andreas Kalbitz oder Björn Höcke – der öffentlich sagte, er empfange beim IfS sein „geistiges Manna“ – gingen oder gehen bei Ihnen ein und aus. 

Lehnert: Stimmt, aber nicht nur, ebenso Alexander Gauland, Alice Weidel oder Jörg Meuthen. Das ist ja auch der Grund, warum wir als AfD-Vorfeld betrachtet werden. Wogegen ich nichts habe, nur wollen wir nicht darauf beschränkt werden. Denn das IfS ist eine unabhängige, überparteiliche Denkfabrik für das gesamte rechtskonservative Lager. Und das spiegelt sich auch in unserer Arbeit wider, die zum großen Teil nichts mit der AfD zu tun hat; wenn ich etwa an unsere Akademien, Kongresse oder Publikationen denke – allen voran unsere Zeitschrift Sezession, die zu einem wichtigen Theorieorgan im rechtskonservativen Spektrum geworden ist.

Hat die Hochstufung überhaupt Folgen oder macht das gegenüber dem bisherigen Status als „Verdachtsfall“ gar keinen Unterschied? 

Lehnert: Es stellt eine deutliche Verschärfung dar. „Gesichert rechtsextrem“ ist der endgültige Paria-Status, dessen Gift ausgesprochen langfristig wirken wird. Das beginnt damit, daß natürlich ein gewisser Teil der Interessenten, Besucher, Kunden, Förderer und vor allem Referenten abgeschreckt wird, was ja auch Ziel der Sache ist. Sowie, daß es schwieriger wird, unsere politische Bildungsarbeit zu betreiben oder Partner zu finden, wie Banken, Buchhandlungen, Veranstaltungsorte. Auch unsere wichtigen Sozialen-Medien-Kanäle sind bedroht, da wir mit Sperrung und Löschung rechnen müssen. Vor allem aber wird es uns den sehr wichtigen Status der Gemeinnützigkeit kosten! Und nicht zuletzt steigt die Gefahr, Opfer von Gewalt zu werden, was auch schon passiert ist. Besonders, da die Sicherheitsbehörden warnen, daß die linksextreme Gewaltbereitschaft immer weiter steigt, bis hin zur Bereitschaft zu töten. Derzeit kursiert ja sogar eine Todesliste mit Namen von AfD-Politikern. 

Planen Sie juristische Schritte?

Lehnert: Auf jeden Fall. Was aber erneut Geld, Mittel und Kräfte bindet. Wobei ich mit einer langen Verfahrensdauer rechne und leider nicht mit allzu großen Erfolgschancen. 

Konkret? 

Lehnert: Deutlich unter fünfzig Prozent. 

Warum? 

Lehnert: Zum einen weil wir nicht, wie die JUNGE FREIHEIT, ein Presseorgan sind. Ihr Erfolg nach zehn Jahren Klagezeit 2005 vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das Landesamt für Verfassungsschutz in NRW beruhte ja auf der starken Stellung, die sie durch die grundgesetzlich garantierte Pressefreiheit genießt. Zum anderen wegen des genannten neuen Instruments des „Prinzips der Unantastbarkeit der Menschenwürde“. Dennoch ist es wichtig, sich zu wehren. So ist der VS gezwungen, die Vorwürfe zu begründen, wodurch wir überhaupt erfahren, was uns eigentlich konkret vorgeworfen wird und wir die Möglichkeit haben, es zu entkräften.

Rechnen Sie mit einer Hochstufung auch im Verfassungsschutzbericht des Bundes?

Lehnert: Das weiß nur Thomas Haldenwang. 

Haben Sie aber vielleicht auch Fehler gemacht, die die Beobachtung begünstigen?

Lehnert: Einzige Möglichkeit ihr zu entkommen wäre gewesen, heikle Dinge nicht anzusprechen sowie mit „umstrittenen“ Personen keinen Umgang zu pflegen. Das kommt für uns nicht in Frage.

In der IfS-Studie „Scheitert die AfD?“ heißt es etwa: „Die Demokratie ist im Zweifel ... auch gegen das Verfassungsgericht und das Grundgesetz durchzusetzen!“

Lehnert: Ja, das Grundgesetz wurde aber schon sechzigmal geändert, das ist nicht verfassungswidrig. 

Von „ändern“ ist allerdings nicht die Rede, sondern von „gegen das Grundgesetz durchsetzen“.

Lehnert: Gemeint ist, daß die Grundprinzipien der Demokratie im Zweifel wichtiger sind, als die heutige verfassungsrichterliche Interpretation des Grundgesetzes, die nämlich darauf hinausläuft, genau diese nicht zu gewährleisten.

Sie glauben, der VS, dem Sie attestieren, Dinge böswillig zu verdrehen, wird die Stelle feinsinnig interpretieren?

Lehnert: Auch der VS wird sich hoffentlich nicht über die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stellen wollen, das 2005 im sogenannten junge-freiheit-Urteil feststellte, daß „bloße Kritik an Verfassungswerten und Verfassungsgrundsätzen nicht als Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzuschätzen“ ist. 

Überdies läßt der Autor der Studie an seiner Geringschätzung für das Grundgesetz, das er als Instrument der Besatzungsmächte sieht, keinen Zweifel. 

Lehnert: Was er sachlich anhand der Geschichte seiner Entstehung begründet. Warum es im Kern geht, ist die Verfassungswirklichkeit, die sich immer mehr vom Demokratieprinzip, das für die freiheitliche demokratische Grundordnung konstituierend ist, entfernt hat. Leute wie der Verfassungsrechtler Hans Herbert von Arnim oder der Politikwissenschaftler Wilhelm Hennis haben auf dieses Defizit hingewiesen. Wir befinden uns da in guter Gesellschaft.

In „Wir Deutschen sind das Volk“ heißt es, „Gewalt gegen Sachen“ sei unter Umständen „gerechtfertigt im Sinne des Grundgesetz-Artikel 20“, etwa „Unterbrechung von Strom und Heizung“, um „die Belegung einer Asyleinrichtung mit Illegalen zu verhindern“.

Lehnert: Diese IfS-Studie entstand vor dem Hintergrund der Asylkrise 2015, die ein Verstoß gegen das grundgesetzliche Staatsprinzip war, gegen den vorzugehen weder Gerichte noch Staatsorgane willens waren. So daß sich die Frage stellte, ob hier Artikel 20 greift, laut dem „alle Deutschen das Recht zum Widerstand haben, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist“. Wobei ich einräume, daß der Artikel 20 „Prosa“ ist, weil unklar bleibt, wie die Beseitigung der verfassungsmäßigen Ordnung rechtssicher festgestellt werden könnte.

Ist es dann nicht erst recht absurd, durch Sinnieren über Gewalt, noch dazu in einem Fall, der unrealistisch ist, dem Verfassungsschutz regelrecht zuzuarbeiten? 

Lehnert: In juristischen Zeitschriften werden solche Fragen ständig besprochen, daran ist nichts Extremes. Wir machen politische Bildungsarbeit, und in der Politik ist der Ausnahmezustand nun mal der Prüfstein.

Sie bleiben dabei, Sie haben die Beobachtung nicht begünstigt?

Lehnert: Ich will mir die Antwort nicht einfach machen, aber auch auf die über zwanzig Jahre gesehen, die es das IfS nun gibt, erinnere ich mich, abgesehen von Kleinigkeiten, an nichts, von dem ich sagen könnte, es war ein entscheidender Fehler. Die Frage ist auch: Was will man? Wenn wir hätten gefallen wollen, wären wir der Jungen Union beigetreten, statt das IfS zu gründen. 

Um Gefallen geht es nicht, sondern um Klugheit. 

Lehnert: Die Wahrheit auszusprechen ist, so gesehen, nicht immer klug.






Dr. Erik Lehnert, ist Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Staatspolitik in Schnellroda/Sachsen-Anhalt und Grundsatzreferent der AfD-Landtagsfraktion in Brandenburg. Der Philosoph schrieb seine Dissertation über Karl Jaspers, war Lektor des Antaios-Verlags und zeitweilig im Vorstand der Desiderius-Erasmus-Stiftung. Geboren wurde er 1975 in Ost-Berlin. 

Foto: Das Logo des Instituts für Staatspolitik unter der Lupe des Verfassungsschutzes: „Wir werden für Positionen beschuldigt, die wir überhaupt nicht vertreten.“