© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/21 / 15. Oktober 2021

Alexander Schallenberg. Überraschend hat Österreich einen neuen Kanzler. Wer ist der Mann, der Sebastian Kurz folgt?
Der Diplomat
Robert Willacker

Den entscheidenden Satz sagt Alexander Schallenberg gleich zu Beginn seiner ersten Regierungserklärung: „Selbstverständlich werde ich als Bundeskanzler in enger Abstimmung mit unserem Bundesparteiobmann Sebastian Kurz vorgehen.“ 

Nach den politischen Turbulenzen der letzten Tage rund um Vorwürfe seitens der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft gegen Sebastian Kurz übergab dieser zu Wochenbeginn die Kanzlerschaft an seinen Außenminister. Der 1969 in Bern geborene Diplomatensohn Alexander Georg Nicolas Christoph Wolfgang Tassilo Schallenberg gilt als weltgewandt. Er stammt aus einem ehemaligen österreichischen Adelshaus, wuchs in Indien, Spanien und Frankreich auf und studierte in Wien, Paris und Brügge. Seine Karriere begann der Jurist und Diplomat im Jahr 2000 als Leiter der Rechtsabteilung der Ständigen Vertretung Österreichs bei der EU. Dann wechselte er ins Außenministerium. Als Sebastian Kurz dies 2013 übernahm, machte er Schallenberg zum Leiter für „Strategie und politische Planung“ und ab 2017 im Kanzleramt zum Sektionsleiter für Koordination.

Außenminister jedoch wurde der pflichtbewußte Beamte erst nach dem Ende der infolge der Ibiza-Affäre zerbrochenen ersten Kanzlerschaft Kurz. 2018 berief ihn die parteilose ehemalige Verfassungsrichterin Brigitte Bierlein in ihre Übergangsregierung, von wo ihn 2019 der mit Hilfe der Grünen wiedergewählte Kurz übernahm. Zwar gilt Schallenberg auch aufgrund dieses Stücks gemeinsamen Weges als dessen Vertrauter, wird jedoch nicht zu seinem engsten Kreis gezählt. 

Es mangelt Alexander Schallenberg an Erfahrung in der Innenpolitik. Der „neue starke Mann“ ist er nicht.

Politisch für Aufsehen sorgte der Außenminister zweimal: Im Herbst 2020, als er nach dem Brand im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos die Debatte um die Aufnahme von Migranten als „Geschrei nach Verteilung“ bezeichnete und eine Beteiligung Österreichs ablehnte. Sowie im Frühjahr 2021, als er im Zuge des eskalierenden Nahost-Konflikts die israelische Flagge am Außenministerium aufziehen ließ. 

Nun hat er in seiner Regierungserklärung deutlich gemacht, daß von ihm kein Abweichen von den bisherigen Leitlinien der Kanzlerpartei ÖVP zu erwarten ist. Eine konsequent ablehnende Haltung in der Migrationsfrage einerseits, ein Eintreten für eine EU-Erweiterung auf dem Westbalkan andererseits – um die dortigen Staaten dem Einfluß Rußlands und Chinas zu entziehen – zeichneten ihn schon als Außenminister aus. Trotz dieser klaren Positionen ist Schallenberg jedoch nicht der „neue starke Mann“ im Bundeskanzleramt. Nicht nur wegen seiner erklärten Anlehnung an den immer noch einflußreichen Kurz – auch weil er ganz auf die Bewältigung der Krise konzentriert, viel Gestaltung also nicht zu erwarten ist. Zudem mangelt es Schallenberg an Erfahrung in der Innenpolitik. Dem Diplomaten ist anzumerken, daß ihm die reichlich undiplomatische Konfrontation mit der Opposition fremd ist. Auch sagt man ihm nach, er habe diese politische Karriere nie gewollt, sondern sei zu ihr gekommen wie die sprichwörtliche Jungfrau zum Kinde. 

Wie lange seine Kanzlerschaft dauern wird, hängt zudem weniger von ihm ab, als vom Inhalt der vielen Verschlußakten, die dem Vernehmen nach noch bei der Staatsanwaltschaft liegen und die – wer weiß – vielleicht weitere Überraschungen bergen.