© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/21 / 15. Oktober 2021

Ampelmännchen
FDP: Bislang laufen die Sondierungen geräuscharm / Für die Liberalen ist die Koalition indes ein gefährliches Wagnis
Jörg Kürschner

Mit eiserner Geschlossenheit sondiert die FDP mit SPD und Grünen eine Ampel-Koalition, nachdem sie bei der Bundestagswahl nicht das intern erhoffte glänzende, aber mit 11,5 Prozent achtbare Ergebnis erzielt hat. Ein heikles Unternehmen, neigen doch nach zuverlässigen Umfragen etwa zwei Drittel der FDP-Wähler zu einem Bündnis mit den Unionsparteien, das nur mangels fehlender Mehrheit um die Grünen erweitert werden sollte. Doch Jamaika scheint nur noch eine theoretische Option, seitdem CSU-Chef Markus Söder anders als Noch-CDU-Chef Armin Laschet diese faktisch begraben hat. Zum Ärger der FDP-Spitze, deren Spielraum in den Ampel-Sondierungen dadurch eingeschränkt worden ist.  Ob sich FDP-Chef Christian Lindner nach seiner Jamaika-Absage 2017 („Lieber nicht regieren als schlecht regieren“) noch einmal der Regierungsverantwortung entziehen kann, darf bezweifelt werden. 

Während Grüne und SPD sich mit öffentlichen Festlegungen zurückhalten, nimmt FDP-Generalsekretär Volker Wissing kein Blatt vor den Mund. „Alle Gesprächspartner kennen unsere Forderungen: keine Steuererhöhungen und kein Aufweichen der Schuldenbremse. Daran halten wir fest. Schulden schaffen keine Zukunft.“ Und FDP-Urgestein Wolfgang Kubicki setzte noch einen drauf: „Steuer-erhöhungen wird es nicht geben, sonst gäben wir unsere Existenz auf.“ Den Solidarzuschlag, den längst nur noch Gutverdiener bezahlen, will die FDP abschaffen, die SPD ist dagegen. 

Es sind die vielzitierten roten Linien aus dem blaugelben Wahlprogramm, die die Korrektivfunktion der Liberalen im deutschen Parteiensystem bekräftigen sollen. Daß Wissing die zentralen finanzpolitischen Positionen demonstrativ öffentlich unterstreicht, ist zurückzuführen auf das Wahldebakel der FDP 2013. Damals hat er als Vorsitzender des Finanzausschusses des Bundestags mitgelitten, als der Partei- und Fraktionschef Guido Westerwelle vor CDU-Chefin Angela Merkel öffentlich eingeknickt war. Die Kanzlerin kassierte dessen Steuersenkungsversprechen („Mehr Netto vom Brutto“); erstmals seit 1949 flogen die Liberalen mit 4,8 Prozent aus dem Bundestag. 

Wissing hat diese Demütigung miterleben müssen. Die Schmach soll sich nicht wiederholen. Und in der Tat könnten die Unterschiede in der Finanzpolitik zwischen SPD und Grünen einerseits und der FDP andererseits kaum größer sein. Rot-Grün wollen hohe Einkommen und Vermögen stärker belasten, nach dem Prinzip „stärkere Schultern tragen mehr“, damit Geld für diejenigen da ist, die wenig haben. Die Grünen sind für eine Aufweichung der Schuldenbremse, um massive Investitionen in Klimaschutz und Infrastruktur zu ermöglichen. Da die öffentlichen Kassen wegen der Corona-Krise leer sind, können die finanzpolitischen Konflikte nicht durch teure Kompromisse befriedet werden.

Der Strucksche Grundsatz gilt: „Ohne Vertrauen geht gar nichts“

Dies gilt insbesondere auch für die Rentenpolitik, einen weiteren Knackpunkt eines möglichen Ampel-Bündnisses. Die FDP will eine gesetzliche Aktienrente einführen, also die private Altersvorsorge stärken. Das heißt, daß von den Beiträgen, die heute Beschäftigte und ihre Arbeitgeber in die Rentenversicherung zahlen, nur noch ein Teil an die Rentenkassen geht. Der andere Teil soll in einen staatlich organisierten Wertpapier-Fonds fließen. Die Grünen wollen das Rentensystem umkrempeln. In eine Bürgerversicherung sollen auch Selbständige oder Beamte einbezogen werden, die zunächst in die gesetzliche Rentenversicherung integriert werden sollen. Ärzte, Anwälte oder Architekten, die Stammklientel der Liberalen, dürften wenig begeistert sein. Wie die Grünen will auch die SPD „die Gesamtheit der Erwerbstätigen“ in die Rentenversicherung aufnehmen, spricht aber nicht von Bürgerversicherung.    

Zentrales Anliegen der Grünen ist – wenig überraschend – die Klimapolitik. Die Grünen setzen auf den Staat, fordern etwa eine Solaranlagenpflicht für Dächer, einen Ausstieg aus der Kohleenergie bereits 2030 statt 2038 und ab 2030 die Zulassung nur noch von emissionsfreien Autos. Die FDP will dagegen mit neuen Technologien und einer Ausweitung des Emissionshandels dem Klimawandel begegnen, lehnt ein Verbot von Verbrennungsmotoren ab. Daß die Liberalen bei den Erstwählern knapp vor den Grünen lagen, trotz zahlreicher „Fridays for Future“-Demonstrationen, wird Lindner sicher einen Hinweis wert sein. 

Im Ergebnis müssen alle Parteien ihre Handschrift im Koalitionsvertrag wiederfinden, wie zu Beginn der Sondierungen betont wurde. Der FDP die Finanzpolitik, den Grünen die Klimapolitik und der SPD die Sozialpolitik als inhaltliche Begründung für ein Ampel-Bündnis? Wahlsieger Olaf Scholz hatte eine Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro im nächsten Jahr versprochen und sogar zur Bedingung für eine Koalition erklärt. Die FDP verweist auf die zuständige unabhängige Kommission aus Arbeitgebern und Gewerkschaften.

Unabhängig von den inhaltlichen Differenzen kommt es in Koalitions-Sondierungen stets auch auf die Verhandlungsatmosphäre an, als Beginn eines vertrauensvollen Arbeitsverhältnisses. So sprach Wissing am Dienstag von einem „guten, höflichen Ton“ während der Sondierungen. Jetzt beginne mit den Formulierungen die „Stunde der Wahrheit“, die am Freitag in die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen münden könnte. „Ohne Vertrauen geht gar nichts“, meinte 2005 SPD-Fraktionschef Peter Struck, den am Ende der Großen Koalition sogar eine Freundschaft mit seinem Unionskollegen Volker Kauder verbunden hat. Daß Lindner 2017 den Grünen die schon sicher geglaubte Regierungsbeteiligung an Jamaika verbaute, dürfte in der Ökopartei nicht vergessen sein. Doch hat es seitdem immer wieder Kontakte zwischen Grünen und Liberalen im Bundestag gegeben, nicht nur bei gemeinsamen Klagen etwa gegen das von der Großen Koalition verabschiedete Wahlrecht. 

Foto: FDP-Chef Lindner hinter der Grünen Annalena Baerbock: Jamaika 2017 zerstört