© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/21 / 15. Oktober 2021

All Morgen ist ganz frisch und neu
CDU: Die Christdemokraten befinden sich in desolatem Zustand/ Nun soll die Basis mehr mitbestimmen – auch über den nächsten Parteichef
Christian Vollradt

Wenn es ein Wort in der CDU gibt, das derzeit inflationär gebraucht wird, dann ist es der „Neuanfang“, wahlweise auch die „Neuaufstellung“. Permanent rinnt es in die Mikrofone, wann immer sich ein mehr oder wenieger prominentes Mitglied zu einer Wortmeldung berufen fühlt. Der Vorteil: Neu ist wertfrei, neu ist bloß das Gegenteil von alt. Und alt kann weg, schließlich hat man gerade eine Wahl verloren. 

Ob mit der personellen und inhaltlichen Neuaufstellung nun ein Schwenk nach links oder nach rechts einhergeht, das bleibt bewußt offen. Und so läßt sich in der Unverbindlichkeit der drei Buchstaben jener Konsens finden, der in der künftig vielleicht ehemaligen Volkspartei CDU längst nicht mehr besteht. Neu tut keinem weh – wehe nur, es verlangt jemand nach einer Präzisierung. 

In den Ostverbänden ballt man die Faust in der Tasche, weil mit der rheinischen Frohnatur Armin Laschet kein Stich gegen die Konkurrenz in blau zu machen war. Die Direktmandate, die die AfD im Unions-Stammland Sachsen hinzugewonnen hat, schmerzen. Der Ruf nach mehr konservativem Profil, nach der alten Law-and-Order-CDU – auch und gerade in der Migrationspolitik, sind nicht zu überhören. Die im Wirtschaftsflügel Organisierten verweisen auf frustrierte Mittelständler, die der C-Partei längst den Rücken gekehrt haben.

Irrtum, behaupten die Verteidiger der neuen Mitte, die Partei habe beim ersten Post-Merkel-Urnengang viel mehr Stimmen an Grüne und Sozialdemokraten verloren. Nicht nur die Raute, auch die erfolgversprechende asymmetrische Demobilisierung habe Kanzlerkandidat Olaf Scholz (SPD) kopiert und damit den Wahlsieg zu Lasten Laschets eingeheimst.

Einen Minimalkonsens fand die Parteispitze am Montag. Immerhin. Noch vor Ende seiner regulären Amtszeit wird der gesamte Bundesvorstand der CDU neu gewählt. Oder um es mit Parteichef Armin Laschet zu sagen: „Die personelle Neuaufstellung unserer Partei leiten wir zügig ein.“ Zunächst soll eine Kreisvorsitzenden-Konferenz am 30. Oktober darüber beraten, wie die Parteibasis stärker einbezogen werden kann – auch in der Frage des künftigen Parteivorsitzes. Denkbar wäre eine Mitgliederbefragung, alternativ auch wieder Regionalkonferenzen; die Wahl an sich bleibt formal Sache eines Parteitags. Der könnte noch Ende dieses, Anfang nächsten Jahres stattfinden. Auf einer Bundesvorstandssitzung am 2. November werde über das weitere Vorgehen beraten, teilte Generalsekretär Paul Ziemiak mit.

Noch steht keiner offen zu seinen Ambitionen

Die andauernden Personaldebatten, die die Partei „seit 2018, seit dem Rückzug von Angela Merkel als Parteivorsitzende, erlebt“ habe, wolle man nicht fortsetzen, schrieb Laschet in einer E-Mail an die rund 400.000 Parteimitglieder. „Wir wollen diesmal einen anderen Weg gehen, einen Weg des Konsenses“. Er selbst, der seinen Rückzug nach dem faktischen Aus von Jamaika-Koalitionsverhandlungen angekündigt hatte, werde diesen „Prozeß moderieren“. Doch die Zeichen stehen nicht auf die Gesprächskreisisierung der Vorsitzfrage. Während Nachwuchspolitiker wie Junge-Union-Chef Tilman Kuban und Philipp Amthor per Zeitungs-Gastbeiträgen eine Chance für die nächste Generation einfordern, belauern sich bereits die, die schon länger nach der Macht streben: Jens Spahn, Norbert Röttgen und – der immer noch als Liebling von Parteivolk und Stammwählerschaft gehandelte – Friedrich Merz. Genannt werden zudem Mittelstands-Chef Carsten Linnemann, noch nicht sehr prominent, aber zumindets theoretisch mit einer bundesweiten Hausmacht im Rücken. Auch Fraktionschef Ralph Brinkhaus sagt man entsprechende Neigungen nach. Klar seine Ambitionen geäußert hat noch niemand. Es gebe ja auch die „Möglichkeit, ein Team zu formen und gemeinsam in den Parteitag zu gehen“, wirft Ziemiak ein; die Hoffnung stirbt zuletzt.

Bleibt es bei dem Fahrplan, könnte zumindest personell die CDU „neu aufgestellt“ sein. Aber auch in Sachen Aufarbeitung der Wahlschlappe verspricht der Generalsekretär: „Alles kommt auf den Tisch.“ Ob er danach an dem noch einen prominenten Platz hat, bleibt offen. Seine Amtszeit endet in jedem Fall – im Zuge der „Neuaufstellung“.