© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/21 / 15. Oktober 2021

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
„... sitzen Sie in der ersten Reihe“
Paul Rosen

Die schönsten Plätze sind immer in der ersten Reihe. Dies gilt natürlich auch für den Deutschen Bundestag, wo sich allerdings in der 20. Legislaturperiode einige Veränderungen ergeben werden. Der noch amtierende Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) legte dem sogenannten Vor-Ältestenrates dar, welche Fraktionen wie viele Sitze in der ersten Reihe bekommen. Der Vor-Ältestenrat wird so genannt, weil er schon vor der Konstituierung des Parlaments zusammentritt. Schäuble wies darauf hin, daß die besonders begehrten Plätze limitiert seien. Vor Einzug der AfD in den Bundestag paßten 15 Sitze in die erste Reihe; seit 2017 ein Zwischengang zwischen AfD- und FDP-Fraktion eingerichtet werden mußte, sind es nur noch 14 Sitze. 

Nach der neuen von Schäuble vorgelegten Aufstellung sollen Union und SPD jeweils vier Sitze in der ersten Reihe erhalten, Grüne und FDP jeweils zwei, AfD und Linke jeweils einen Sitz. In dieser Verteilung spiegelt sich auch das Wahlergebnis, denn bisher hatte die Union fünf, die SPD drei Sitze, AfD und FDP jeweils zwei, Linke und Grüne jeweils einen Sitz.

Die AfD-Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel und Alexander Gauland saßen in der vorherigen Legislaturperiode nebeneinander in der ersten Reihe; künftig müssen sich Weidel und Tino Chrupalla abwechseln. Immerhin profitiert die AfD davon, daß sie bereits in der zweiten Reihe drei Sitze bekommt, was den Eindruck erweckt, sie besitze im Plenum einen breiten Block, während bei der FDP die zweite Reihe nur zwei Sitze hat und damit an ein zu schmal geschnittenes Stück Torte erinnert.

Überhaupt ist die FDP-Fraktion mit den Planungen unzufrieden. Ihre Fraktion sitzt zwischen der ganz rechts im Plenarsaal befindlichen AfD und der CDU/CSU. Die Liberalen wollen in die Mitte umziehen, wo sie auch im Fernsehen besser zur Geltung kommen würde. Doch die Union möchte nicht nach rechts rücken: „Die jetzige Sitzordnung ist die traditionelle, und sie hat sich bewährt“, meint Michael Grosse-Brömer, der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion. Bereits nach der Bundestagswahl vor vier Jahren war die FDP-Fraktion mit dem gleichen Anliegen gescheitert. Auch dieses Mal wird sie vermutlich erfolglos bleiben, auch wenn FDP-Senior Hermann Otto Solms beklagt, neben der AfD sei es unangenehm, weil „für Außenstehende nicht sofort erkennbar ist, daß die oft unverschämten Zwischenrufe und lautstarken Pöbeleien von der AfD kommen und nicht von uns“.

Bei der Verteilung der Sitze in der ersten Reihe können Linke und AfD auf ein Entgegenkommen der anderen Fraktionen nicht hoffen. Ausnahmen gab es in der Vergangenheit nur, wenn einem Koalitionspartner geschmeichelt werden sollte. So überließ die Union in der 16. Legislaturperiode ab 2005 der SPD einen Platz in der ersten Reihe. CDU und CSU waren seinerzeit noch echte Volksparteien und konnten es sich leisten, von den ihnen ursprünglich sechs zustehenden Sitzen in der ersten Reihe einen den Sozialdemokraten zu überlassen.