© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/21 / 15. Oktober 2021

Sex als bloße Ware
In Debatten über Pornographie bleiben deren Auswirkungen und moralische Aspekte ausgeblendet
Katherine Dee

Im feministischen Lager hat sich der Blick auf das Thema Pornographie in den vergangenen Jahrzehnten deutlich verschoben. Einst als Form der Ausbeutung von Frauen und von männlicher Dominanz gebrandmarkt, sehen vor allem jüngere Frauen die sexuelle Darstellung mittlerweile als Zeichen der Selbstbestimmung. „Empowerment“ lautet das Schlagwort der „sexpositiven“ Feminismusbewegung, die in den frühen 1980er Jahren in den USA entstand und mittlerweile auch in Deutschland lautstark auftritt. Sexpositive Feministinnen sind der Ansicht, daß Frauen in Pornos eine Möglichkeit haben, ihre freie Sexualität auszudrücken. Wie dabei die Schattenseiten geflissentlich beiseite geschoben werden, beobachtet die Publizistin Katherine Dee seit längerer Zeit. Die Autorin ist sich sicher: Die Denkweise des heutigen Feminismus hat zahlreiche Schwachstellen.




Die moderne Technologie hat, um es mit den Worten des Sexkolumnisten Dan Savage zu sagen, „ein Pornostudio für jedermann ermöglicht“. Klassische Formen der Pornographie sind zwar nicht ausgerottet und gänzlich durch Amateurproduktionen ersetzt worden. Es gibt immer noch Pornostudios, immer noch Frauen, die entweder freiwillig oder unter Zwang in hochwertiger produzierten Pornofilmen mitspielen. Aber der Konsum und die Produktion von Pornos haben sich radikal verändert. Klar, Pornographie hat es schon immer gegeben. Dennoch leben wir in einer beispiellosen Ära. Die Zeiten, in denen über Obszönitätsgesetze debattiert wurde, sind längst vorbei. Die heutige Realität ist eine andere: Amateurporno gilt mitunter als Bestandteil des Verführungsprozesses einer romantischen Partnerschaft, wenn potentielle Liebhaber sich gegenseitig Nacktbilder schicken, oft schon vor dem ersten Treffen. 

Der Blickwinkel hat sich auf die „Freiwilligkeit“ verschoben

Die öffentlichen Debatten über Pornos sind dabei in erster Linie auf den freiwilligen Konsum und die Produktion ausgerichtet. Bei den Konsumenten sprechen wir oft davon, das Stigma zu durchbrechen, das Sex und das Anschauen von Videos umgibt. Die Bandbreite reicht von einfachen bis hin zu „Hardcore“-Pornos, wobei sogar öffentliche Gespräche über „Kinkshaming“ nichts Ungewöhnliches mehr sind. Nachdem bekannt wurde, daß der US-Schauspieler Armie Hammer einen Kannibalismus-Fetisch hat, verlief die Diskussion in etwa so: Er hat jedes Recht auf seinen Fetisch, er hat aber nicht das Recht, Menschen, die nicht daran interessiert sind, zur Teilnahme zu zwingen. 

Was die Produktion betrifft, so hat sich der Blickwinkel des Mainstreams weg von Frauen, die entweder durch ihre wirtschaftlichen Verhältnisse oder durch andere Dinge zum Porno gezwungen wurden, hin zu „freiwilligen Sexarbeiterinnen“ verschoben. Sogar die Sprache, die wir zur Beschreibung der Pornoproduktion verwenden, ist zusammengebrochen: Cam-Girls und andere Arten von Amateurdarstellern werden in einem Atemzug mit professionellen exotischen Tänzern oder Prostituierten genannt. Sie alle werden unter dem Begriff „Sexarbeit“ zusammengefaßt. Es wird von vornherein davon ausgegangen, daß alle Beteiligten freiwillig und mit voller Begeisterung dabei sind. 

Auch hier wird die fortwährende Stigmatisierung angegriffen, die als einziger Grund für das Leiden der „Sexarbeiter“ angesehen wird. Ich erinnere mich an eine Debatte, die ich im vergangenen Jahr mit einer „sexpositiven“ Feministin führte, die lautstark erklärte, das „wahre Problem“, mit dem etwa Prostituierte zu kämpfen hätten, bestehe darin, daß die Leute sie anfeinden und beschämen. Sie behauptete, es gäbe keinen Grund, warum sich jemand durch das Anklopfen an Taxitüren und den Verkauf von Oralsex gedemütigt fühlen sollte, außer durch die von der Gesellschaft auferlegte Kontrolle der Sexualität. Diese Argumente sind nur dann stimmig, wenn man akzeptiert, daß Sex moralisch völlig neutral ist. Intimität wird zum „Konsumgut“. Sie ist „nur Arbeit“ und „nur eine weitere Körperfunktion“, wie der Gang zur Toilette oder das Essen. Alles wird beliebig. 

In dieser Argumentation lautet die Prämisse dann wie folgt: Jeder Job, den man ausübt, bringt Probleme mit sich – emotionale, physische und psychische. Warum also sollte die Sexarbeit besonders unter die Lupe genommen werden? Ganz gleich, wie Sex beschrieben wird, die Befürworter leugnen vehement, daß es eine Welt gibt, in der Geschlechtsverkehr irgendeinen inneren Sinn oder Wert haben könnte. Die Vorstellung, daß Sex an und für sich heilig sein könnte, ist für sie eine absurde Idee. 

Allerdings ergibt sich daraus ein Widerspruch. Dieselben Leute, die behaupten, Sex sei „moralisch neutral“, erklären auch, daß Vergewaltigung zu den schlimmsten Verbrechen gehört, die man begehen kann. In ihrer linken Weltanschauung, die die Rehabilitierung von Kriminellen fördert, sind Sexualverbrechen nicht nur zunehmend nebulös definiert, sondern scheinen auch eine dauerhafte Verbannung aus der Gesellschaft zu bedeuten. Warum also dieser besondere Fokus, wenn Sex doch „moralisch neutral“ ist und nichts Besonderes mehr?

Gegner von Pornographie sollen zum Schweigen gebracht werden

Die Antwort, die sie geben, lautet: Es handelt sich dabei um einen Verstoß gegen die Einwilligung der Person. Aber angeblich ist jedes Verbrechen ein Verstoß gegen die Einwilligung, warum also der besondere Fokus auf Sex? Man muß sich fragen, ob es sich um ein zusammenhangloses Argument handelt oder ob weiteres Nachbohren ergeben würde, daß Sex lediglich als eine Art Eigentum betrachtet wird, das man tauschen, verkaufen oder umsonst anbieten kann, aber bitte niemals stehlen. Selbst das würde zumindest darauf hinauslaufen, daß es sich um eine wertvolle Art von Eigentum handelt. Diese Perspektive bricht also schlußendlich in sich zusammen.

Ein weiterer Aspekt, der in den Argumenten der Befürworter der Pornographie völlig fehlt, ist die Tatsache, daß die Produktion, die ja angeblich zur „Selbstbestimmung“ der Frau beiträgt, fatale Auswirkungen hat. „Sexarbeit ist auch Arbeit“, bis man tatsächlich bemerkt, was das überhaupt bedeutet. Selbst moralisch neutrale Argumente verpuffen in diesen öffentlichen Diskussionen und werden oft unter dem Schlagwort „Das ist nur ein Stigma“ heruntergespielt. Akzeptieren wir hier einmal die erzählerischen Bedingungen: Es ist nichts moralisch Verwerfliches daran, Pornographie zu produzieren. Nicht nur, daß es moralisch nicht verwerflich ist, man kann sich auch freiwillig damit beschäftigen und sie genießen. Aber was ist mit den potentiellen emotionalen und psychologischen Auswirkungen, die es hat, wenn Menschen Körper mit der gleichen Präzision analysieren wie jedes andere gekaufte Konsumprodukt? So wie wir unsere neuen Autos und Mobiltelefone sorgfältig bewerten, machen die Konsumenten von Sexarbeit jeglicher Art dasselbe mit den Körpern von Frauen.

Ein unerwünschter Pickel oder ein Dehnungsstreifen gerät plötzlich ins Visier eines Kritikers – ist die Lösung hier, daß man keine Kritik mehr über seine Arbeit liest? Was ist, wenn es sich auf das Einkommen auswirkt? Welche psychologischen Auswirkungen hat es, wenn man weiß, daß das eigene Aussehen nur 2,50 Euro pro Monat „wert“ ist, während andere Frauen Tausende von Euro „wert“ sind? Jede Frage dieser Art wird jedoch als reaktionäre „Anti-Sexarbeit“ abgetan. Gegner von Pornographie sollen zum Schweigen gebracht werden. Derartige Fragen würden nur Leuten die Tür öffnen, die nicht akzeptieren wollen, daß es Sexarbeit gibt. 

Aber wenn die heutige feministische Position so leicht durch Fragen geschwächt werden kann, die sogar ihre Prämissen akzeptieren: wie stark ist dann diese Position überhaupt? Wie „selbstbestimmt“ kann etwas sein, wenn jeder Hauch von negativer Kritik, die von dem Narrativ abweicht, daß Pornoproduzenten eine arme, schikanierte Opferklasse sind, sofort abgekanzelt wird? Wenn sie so auf Leute reagieren, die mit weichen Bällen werfen – was passiert dann, wenn härtere Fragen wie „Was machen wir mit den Frauen, die dazu gezwungen werden?“ auftauchen? Dieses System funktioniert nur, wenn alle Schwachstellen vertuscht werden.






Katherine Dee publizierte unter anderem im britischen „Spectator“ und in der Zeitschrift „The American Conservative“ und bloggt rund um die Themen Internet, Sex und Beziehungen unter:

 https://defaultfriend.substack.com/