© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/21 / 15. Oktober 2021

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Mimmo Lucano, ehemaliger Bürgermeister des italienischen Riace, wurde jetzt wegen Amtsmißbrauchs, Bildung einer kriminellen Vereinigung und Deckung illegaler Einwanderung zu 13 Jahren und zwei Monaten Gefängnis verurteilt. Das ist ein tiefer Fall für jenen Mann, dem 2017 der Dresdner Friedenspreis für ein Modellprojekt verliehen wurde, das als humanitäre Großtat galt. Denn Lucano hatte Migranten von ihren Bewohnern aufgegebene Häuser Riaces überlassen, angeblich um den Ort wiederzubeleben und die Integration zu fördern. Das Gericht hielt diese Behauptungen allerdings für vorgeschoben und sah als erwiesen an, daß es Lucano nur darum gegangen sei, sich finanziell zu bereichern und Einwanderer politisch auszunutzen.

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Aus der Rubrik „Wo bleibt das Positive?“: Da wäre der Verehrer eines heute vergessenen Bildhauers zu nennen, der für den Interessierten nach Feierabend die Ausstellungshalle aufsperrt und geduldig wartet, bis dessen Besichtigung zu Ende ist, oder der Meister einer altehrwürdigen Bruderschaft, der sich morgens auf den Weg macht, um den Kreuzgang der Ortskirche zu öffnen, damit dessen wunderbare romanische Kapitelle in Augenschein genommen werden können.

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In Göttingen mußte – zum wiederholten Mal – eine Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg entschärft werden. Dazu war die Räumung größerer Teile der Innenstadt notwendig; unter anderem betroffen: zwei Krankenhäuser und ein Altenheim. Bei der Gelegenheit erfuhr die Öffentlichkeit, daß an 80 weiteren Stellen des Stadtgebiets Blindgänger vermutet werden. Deren Auffindung bleibt dem Zufall überlassen, die Kosten für das Unschädlichmachen trägt der Bürger. Was, wenn auch in diesem Fall das Verursacherprinzip zur Anwendung gebracht würde? 

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„Sei Po, nicht Arsch!“ Titel einer „Konfi-Einheit“ – „Konfi“ steht für Konfirmandenunterricht – zum Thema „Gemeinde bauen“ gemäß 1. Korinther 12.12 („Denn gleichwie ein Leib ist und hat doch viel Glieder, alle Glieder aber eines Leibes, wiewohl ihrer viel sind, sind sie doch ein Leib: also auch Christus.“), die vom Religionspädagogischen Institut Loccum vorgeschlagen wird.

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Ich meide Autoren, die das Wort „selbsternannt“ nutzen. Etwas milder gestimmt bin ich gegenüber denen, die etwas oder jemanden als „umstritten“ betrachten. Selbstverständlich muß jeder interessante Sachverhalt und jeder Denker von Rang umstritten sein.

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Selbst „Leningraz“ klingt irgendwie nett, und sicher sogar charmant, wenn es von Österreichern ausgesprochen wird. Aber das ändert nichts an der bizarren Tatsache, daß in der Hauptstadt der Steiermark eine Kommunistin mit mehr als 30 Prozent der Stimmen zur Bürgermeisterin gewählt wurde. Das heißt ein Mitglied der KPÖ, jener Partei, die vollkommen unbeeindruckt vom Zusammenbruch des Ostblocks weitergemacht hat und sich unsterbliche Verdienste um die „Weltbewegung“ erwarb, indem sie das von der SED zusammengeraffte Vermögen in ihre treuen Hände nahm.

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„Der Schrei nach korsettloser Tracht verdient nur bei sehr guten Figuren ein Echo zu finden.“ (Helmuth Plessner)

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Zur Frage nach den Ursachen der Abwanderung von CDU-Wählern zur AfD: „Es geht diesen Leuten meist sehr gut. Sie fühlen sich aber betrogen, belästigt und bedroht. Betrogen durch Aussagen wie ‘Ein Ausstieg aus der Kernkraft ist mit mir nicht zu machen’ (Merkel 2005), ‘Muß Deutschland für die Schulden anderer Länder aufkommen? Ein klares Nein’ (Merkel 1999), ‘Die multikulturelle Gesellschaft ist keine lebensfähige Form des Zusammenlebens’ (Merkel 2000), denen sie einmal vertrauten. Belästigt durch die Geßlerhüte, die allenthalben in Gestalt der neuen Gendersprache aufgestellt werden und der Identifikation und Stigmatisierung politischer Gegner in Gestalt von Grußverweigerern dienen und von denen es eine Frage der Zeit ist, bis sie in den Schulen zur verbindlichen Lehre werden. Schüler, die nicht gendern, werden dann behandelt werden wie zu DDR-Zeiten Kinder, die an Staatsfeiertagen ohne Pionierhalstuch erschienen. Bedroht durch die Gefahr, daß man unseren Kindern und Enkeln die herkömmliche Beziehung von Mann und Frau von der Kitazeit an madig machen und dann – kritische Phasen in der Pubertät nutzend – einreden wird, nach Möglichkeit ihr biologisches Geschlecht zu wechseln und sich auf Krankenkassenkosten verstümmeln zu lassen – mit den verzweifelten Eltern als ohnmächtige Zuschauer.“ (Arnold Vaatz, ehemaliger DDR-Bürgerrechtler und Staatsminister, heute CDU-Bundestagsabgeordneter und Mitglied des Vorstands der Partei, in einem Leserbrief an die Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 2. Oktober 2021)

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In einem Revisionsverfahren ist das Urteil, das gegen den französischen Rapper Nick Conrad aufgrund seines Clips „Pendez les blancs“ – „Hängt die Weißen“ ergangen war, aufgehoben worden. Als Begründung gab das Appellationsgericht einen Verfahrensfehler an.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 29. Oktober in der JF-Ausgabe 44/21.