© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/21 / 15. Oktober 2021

Eine Epoche erwacht
Gefühl und Geist: Zu Besuch in dem neuen Romantik-Museum
Claus-M. Wolfschlag

Bislang war der Große Hirschgraben eine wenig beachtete Nebenstraße in der Frankfurter Innenstadt. Nur eine Attraktion hob das Areal aus dem Brei der Nachkriegsarchitektur heraus und lotste Besucher aus aller Welt dorthin: das nach der Kriegszerstörung 1951 originalgetreu rekonstruierte Geburtshaus Goethes. Ein Glücksfall, wenn man an die ideologischen Anwürfe denkt, die schon damals einem solchen Rekonstruktionsvorhaben entgegengehalten wurden. Nun hat der Große Hirschgraben eine weitere Attraktion gewonnen: das Deutsche Romantik-Museum.

Für den Neubau wurde ein bereits seit den 1920er Jahren kursierender Gedanke aufgegriffen. Ein Zentrum der Romantik sollte errichtet werden, dessen Ausstellungskern auf der umfangreichen Sammlung des Freien Deutschen Hochstifts beruhen konnte. 

Wechselwirkung der

napoleonischen Besatzung

2015 begann der Bau nach den Plänen des Architekten Christoph Mäckler. Er schuf ein kleinteiliges Ensemble aus drei Fassaden, das nicht die traditionellen Architekturelemente der Frankfurter Altstadt widerspiegelt. Stilistisch erinnert die an Fenstern arme Fassadenreihe eher an mittelalterlich-mediterrane Ortsbilder, könnte aber ebenso in das postmoderne Ensemble der Frankfurter Saalgasse passen. Dennoch hat sich Mäckler in Material und Farbe um eine Harmonie ohne allzu harte Brüche zum Goethe-Haus bemüht. Ein gläserner Erker über dem Eingang beleuchtet die Nacht in der blauen Sehnsuchtsfarbe der Romantik. 

Im Inneren führt eine hohe, sich nach oben verjüngende Treppe optisch in die Unendlichkeit, real aber zu den drei Geschossen mit insgesamt 1.600 Quadratmetern Ausstellungsfläche. Auf der ersten Ebene sind zahlreiche Gemälde und Sammlungsstücke zu sehen. Beispielsweise Herders Taschenuhr, Lupe und Homer-Büste oder die bürgerliche Porträtmalerei eines Anton Graff. In den frühsymbolistischen Schauergemälden Johann Heinrich Füsslis, die sich um Wahnsinn, Tod und Trauer drehen, deutet sich das Ende des Zeitalters der Aufklärung und die Hinwendung zu einer Ära des Gefühls an. Füsslis Bilder könnten dabei als Vorwegnahme der späteren Schauerliteratur gelten, von Mary Shelleys „Frankenstein“ bis Bram Stokers „Dracula“. Brennende Gebäude und aufziehende Gewitter als Kunstmotive der Romantik sind ebenso Zeichen jenes Epochenwechsels wie die Veränderung der bürgerlichen Devotionalien-Kultur. So zeigt die Schau unter anderem Porzellanteller mit Motiven des „Faust“ oder Fächer und Tassen, die Goethes jungen „Werther“ für die heimische Vitrine verarbeiteten.

Das zweite Obergeschoß präsentiert sich spielerisch-experimenteller. Moderne Wandbilder zeigen Motive aus der Märchensammlung der Gebrüder Grimm: Rotkäppchen und der Wolf, Hase und Igel, die Bremer Stadtmusikanten, Dornröschen. Besuchern wird sinnlich der Forscherdrang jener Epoche vermittelt. Die Beschäftigung mit Farbe, Klang, Strahlung wird unter anderem exemplarisch anhand der Experimente des frühromantischen Physikers Johann Wilhelm Ritter nahegebracht. Interaktive Karten verweisen auf Wirkungsorte der Romantiker. 

Zahlreiche Motive der Romantik werden auch im dritten Obergeschoß teils auf traditionelle, teils auf experimentell-virtuelle Weise zu vermitteln versucht. Eichendorffs „Taugenichts“, den es optimistisch in die Ferne zieht, kommt zur Sprache. Ebenso Ludwig Tiecks Novelle „Des Lebens Überfluß“. Das darin geschilderte junge Paar ungleicher Herkunft steht symptomatisch für das neu entstehende Bild der romantischen Liebe, die Gleichrangigkeit und Herzensbindung beinhaltet sowie das alte Eheverständnis als Vertragsverhältnis ablöst.

Auch kommt die Wechselwirkung der napoleonischen Besatzung zur Sprache, die auf deutscher Seite den Wunsch nach einem geeinigten Nationalstaat wachsen ließ, was wiederum zu frühdemokratischen Konflikten mit der feudalen Obrigkeit führte. Zugleich erwies sich diese Obrigkeit ebenfalls von der Romantik und der damit verbundenen Liebe zum Mittelalter beeinflußt. Nicht nur der Wagner-Verehrer und Schlösserbauer Ludwig II. von Bayern erwies sich als spätes Produkt dieses Einflusses. Bereits der preußische König Friedrich Wilhelm IV. gilt als „Romantiker auf dem Thron“, der sich nicht nur einer ausgiebigen Sammlung von Kunstgegenständen widmete, sondern auch die Vollendung der mittelalterlichen Bauruine des Kölner Doms initiierte.

Zwar gibt es bereits zahlreiche Stätten, die sich einzelnen Vertretern oder regionalen Erscheinungsformen jener im späten 18. Jahrhundert entstandenen deutschen Kulturepoche widmen. Das Romantik-Museum aber schließt als zentraler Erinnerungsort dieser Bewegung eine bislang schmerzliche Leerstelle in der deutschen Museumslandschaft.

 https://deutsches-romantik-museum.de