© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/21 / 15. Oktober 2021

Hauen und Stechen
Schlachtengetümmel: Ridley Scotts „The Last Duel“ schildert eine Episode aus dem Hundertjährigen Krieg
Dietmar Mehrens

Es ist der 29. Dezember im Jahr des Herrn 1386. Seit Jahren tobt in Frankreich der Hundertjährige Krieg. Und gleich wird die Entscheidung fallen, nicht im Krieg zwischen England und Frankreich, aber im ritterlichen Duell der Lanzenträger, dem „The Last Duel“ seinen Titel verdankt. Es treten gegeneinander an: Ritter Jean de Carrouges (Matt Damon) und Jacques Le Gris (Adam Driver), einst Jeans Waffenbruder, jetzt sein Todfeind. Einer von ihnen wird auf der Strecke bleiben. Und dann wird sich erwiesen haben, wer die Wahrheit spricht: Le Gris oder Marguerite de Carrouges, Jeans Gemahlin (Jodie Comer), die Le Gris beschuldigt, sie vergewaltigt zu haben. König Karl VI. von Frankreich hat ein solches Duell mit der Funktion eines Gottesurteils über Schuld und Unschuld in dieser Streitsache letztmalig zugelassen.

Der Anglistik-Professor Eric Jager hat darüber ein Buch geschrieben, das nun mit Matt Damon und Ben Affleck als Darstellern und Produzenten verfilmt wurde. Regie führte „Gladiator“-Regisseur Ridley Scott, der schon in „Königreich der Himmel“ (2005) sein Interesse an Mittelalter-Themen eindrücklich unter Beweis gestellt hat. 

Der Film beginnt dann auch ähnlich wie „Königreich der Himmel“ mit viel Schlachtengetümmel, reichlich Dreck und Blut – für Zartbesaitete ist das eher nichts –, ehe schließlich der Rechtsstreit in den Mittelpunkt rückt. Als Dauerkämpfer Jean de Carrouges mal wieder nicht zu Hause ist, bekommt die von einer gar garstigen Schwiegermutter und dem gesamten Gesinde allein gelassene Schloßherrin Besuch vom wild-virilen Le Gris, dessen Liebeskanister prall gefüllt ist. Doch Marguerite verweist auf ihren Familienstand und gibt sich genierlich. Hat Le Gris da irgendwelche Signale falsch gedeutet? Schmachtete Marguerite ihn etwa nicht an? Und was hat sich nun eigentlich auf der Burg von Carrouges genau zugetragen?

Einfärbung mit Gegenwartsbefindlichkeiten

Da sich Kriminalfälle, je nach dem, ob das Opfer oder der Täter den Hergang schildert, schon immer als variantenreich erwiesen haben, erzählt Ridley Scotts Film die Geschichte des vermeintlichen Notzuchtverbrechens aus drei unterschiedlichen Perspektiven: der von Jean, der von Jacques und der von Marguerite. Spätestens nachdem zwei Stunden vorbei sind, beginnt sich der Zuschauer zu fragen, warum er am Anfang zusammen mit dem wackeren Jean de Carrouges so viel Zeit auf Schlachtfeldern des Hunderjährigen Krieges verbringen mußte, wo es sich bei Scotts Film doch erkennbar um ein #MeToo-Drama handelt und nicht um „Braveheart“ Teil zwei.

Auch die Dialoge im von Damon und Affleck zusammen mit Nicole Holofcener verfaßten Drehbuch lassen wenig Ambition erkennen, Vokabular und Sprechweise des 14. Jahrhunderts authentisch nachzubilden. Die Einfärbung mit Gegenwartsbefindlichkeiten macht das Werk zu einem weiteren Beispiel für die Herablassung gegenüber vergangenen Epochen, die ein typisches Kennzeichen der Postmoderne ist. Im Mittelalter von Ridley Scott scheint der Winter nie zu enden und der Himmel nie blau zu werden – eine Metapher für Umgangsformen, die uns heute frösteln lassen sollen, gerade mit Blick auf die Rolle der Frau?

Ganz so eindimensional ist Scotts Mittelalterschinken dann doch nicht. Daß Marguerite das Kind, das neun Monate nach dem Überraschungsbesuch zur Welt kommt, vorbehaltlos zu lieben imstande ist, dürfte ein Beitrag zur in den USA unter Donald Trump wieder aufgeflammten Abtreibungsdebatte sein, der denen, die es in der Frage mit der linken „Pro-Choice“-Liga halten, schwer im Magen liegt.

Trotzdem: Etwas mehr Entschlossenheit, was es eigentlich erzählen möchte, und entsprechende Raffungen hätten dem Zweieinhalb-Stunden-Opus gutgetan. Damit sich das Damoklesschwert der Monotonie nicht zu bedrohlich über den Film senkt, lockt das Drehbuch von Anfang an mit dem alles entscheidenden Finale, das dann auch tatsächlich jedes Versprechen auf ein Spektakel hält. In der Schluß-Viertelstunde, in der das bereits in der ersten Szene angekündigte Duell endlich steigt, steigt auch die Spannungskurve merklich an. Denn nachdem sich „The Last Duel“ immer weiter von den Motiven eines klassischen Heldenepos entfernt und parallel dazu dem Aufrüttelungsmodus von Brechts epischem Theater angenähert hat, kann der Zuschauer sich nicht sicher sein, ob am Ende das Recht triumphiert oder die Ungerechtigkeit, ob es einen siegreichen Helden geben wird oder lange Gesichter. Es lohnt sich, diese Frage im Kino zu klären.

Kinostart ist am 14. Oktober 2021

Foto: Ritter Jean de Carrouges (Matt Damon, r.) und sein Todfeind Jacques Le Gris (Adam Driver):  Einer wird auf der Strecke bleiben