© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/21 / 15. Oktober 2021

„Zügel anlegen“
Whistleblower-Vorwürfe gegen Facebook: Die Politik verspricht stärkere Regulierung
Gil Barkei

Die sich kürzlich als Whistleblowerin zu erkennen gegebene frühere Facebook-Mitarbeiterin Frances Haugen (JF 41/21) hat eine stärkere Regulierung des sozialen Netzwerks gefordert. „Ich glaube, daß die Produkte von Facebook Kindern schaden, Spaltung anheizen und unsere Demokratie schwächen“, sagte die 37jährige vor dem Unterausschuß für Verbraucherschutz, Produktsicherheit und Datensicherheit des US-Senats. „Facebook formt unsere Wahrnehmung der Welt durch die Auswahl der Informationen, die wir sehen“, erläuterte sie und betonte, Facebook mache dabei seine Nutzer süchtig und favorisiere mit seinem Algorithmus schädliche wie zugespitzte Inhalte. 

Ihre Botschaft an die Zuhörer in Washington: „Der Kongreß muß handeln.“ Denn die Konzernführung wisse genau, „wie Facebook und Instagram sicherer gemacht werden können“, aber sie nehme die notwendigen Änderungen nicht vor, „weil sie ihre astronomischen Profite über die Menschen gestellt hat.“ Dabei zog die Harvard-Absolventin eine Parallele zur Auseinandersetzung mit der Zigarettenindustrie: „Als wir herausgefunden haben, daß die Tabakindustrie den Schaden verschleierte, den sie verursachte, hat die Regierung gehandelt.“

Deutsches Justizministerium will durchgreifen

Die Äußerungen kommen zu einer erdenklich unpassenden Zeit für Facebook. Zwischen Haugens Whistleblower-Outing und ihrer Aussage im US-Senat brachen Anfang vergangener Woche für mehrere Stunden die Funktionen von Facebook, Instagram und WhatsApp zusammen. Die offizielle Erklärung, nach der ein Konfigurationsfehler schuld gewesen sei, konnte nur kurz beruhigen. Nur wenige Tage später folgten erneut stundelange Ausfälle der Facebook-Dienste. Zudem hatten erst kürzlich die New York Times-Journalistinnen Sheera Frenkel und Cecilia Kang in ihrem Buch „Inside Facebook“ vor einer Aushöhlung der Privatsphäre und der Demokratie gewarnt und so den Druck auf das Imperium von Mark Zuckerberg erhöht.

Doch Haugens vermeintliche Enthüllungen sind nicht wirklich neu, auch wenn viele Mainstreammedien von den Vereinigten Staaten bis Deutschland nur allzu gerne so tun. Schon öfter haben Studien oder Kritiker auf die negativen Auswirkungen der Online-Plattformen auf die Nutzer und die Gesellschaft verwiesen. Instagram ist „sehr bildorientiert“, und es scheint, daß es „bei jungen Menschen Gefühle der Unzulänglichkeit und Angst auslösen kann“, schrieb die britische Royal Society for Public Health bereits 2017 in einer Untersuchung. 2020 haben in der Dokumentation „Das Dilemma mit den sozialen Medien“ zahlreiche frühere BigTech-Mitarbeiter die Vorschlagspraxis von polarisierenden Positionen sowie die Verbreitung übertriebener Schönheitsideale und den damit einhergehenden Druck bemängelt.

Brisant ist eher Haugens dezidierter Vorwurf, der Internetriese sei in internen Analysen zu den gleichen Ergebnissen gekommen, hätte diese allerdings samt anderer „wichtiger Informationen“ zur psychischen und körperlichen Gesundheit von Jugendlichen „bewußt vor der Öffentlichkeit, vor der US-Regierung und vor Regierungen in aller Welt“ verheimlicht.

Zuckerberg wies die Anschuldigungen seiner Ex-Angestellten zurück: Das Argument, „daß wir absichtlich Inhalte fördern, um Menschen für Geld wütend zu machen“, sei „zutiefst unlogisch“. „Wir verdienen Geld mit Anzeigen, und die Werbekunden sagen uns immer wieder, daß sie ihre Anzeigen nicht neben schädlichen Inhalten sehen wollen.“ Instagram kündigte zudem eine „Take a break“-Funktion an, die Jugendliche von solch schädlichen Inhalten fernhalten will und eine Warnmeldung anzeigt, wenn Beiträge konsumiert werden, die dem „Wohlbefinden möglicherweise nicht förderlich sind“. Sollte der Unternehmensgründer gedacht haben, damit einer politischen Reaktion entgegenwirken zu können, so hat er sich getäuscht. Der demokratische Senator Ed Markey sagte an Zuckerberg gerichtet, der Kongreß werde handeln „und ihrem Unternehmen nicht länger erlauben, unseren Kindern, unseren Familien und unserer Demokratie zu schaden“. Die demokratische Senatorin Amy Klobuchar versprach, Haugens Aussage werde wie ein „Katalysator“ für das Vorhaben wirken, Facebook zu regulieren. Die Zeichen der Biden-Regierung stehen auf Angriff gegen das Silicon Valley, berichtet der Spiegel – Wettbewerbsbehörden würden gezielt mit BigTech-Kritikern besetzt. Demnach solle beispielsweise an die Spitze der zuständigen Abteilung im Justizministerium Jonathan Kanter rücken, der als Rechtsanwalt Firmen im Kampf unter anderem gegen Google unterstützt hatte. Linksliberale Polit-Akteure machen sich auf, mehr einseitige Kontrolle über die Online-Infrastrukturen zu erlangen.

In Deutschland will Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) „Facebook & Co. Zügel anlegen und diese stramm anziehen“. „Die jüngsten Enthüllungen um Facebook belegen, wie dringend wir in Europa eine starke und wirkungsvolle Regulierung sozialer Netzwerke brauchen“, sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „In einem geeinten Europa betrifft es uns alle, wenn soziale Netzwerke mit ihren Algorithmen Haß und Hetze verstärken sowie politische und gesellschaftliche Fehlentwicklungen fördern.“

Foto: Frances Haugen im US-Senat: „Kongreß muß handeln“