© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/21 / 15. Oktober 2021

Mehrmals täglich den Zivilisationsbruch nacherleben
Ohne Frankreich alles toxisch
(ob)

Wo alle Welt von Identität redet, will der Luther-Biograph Thomas Kaufmann (Göttingen) nicht schweigen. „So bin ich deutsch und werde es bleiben“, trumpft er in der Tonart des Reformators auf (zeitzeichen, 9/2021). Um sogleich in protestantischen Zeitgeist einzutauchen: Denn deutsche Identität gebe es nur durch Verinnerlichung des „Zivilisationsbruchs menschheitsgeschichtlichen Ausmaßes“. Das gelte für uns „alle, die wir Deutsche sind“, aber auch „für jeden, der zu uns kommt und einer von uns werden will“. Deutscher sei, wer „immerzu, beinahe täglich und häufig mehrmals am Tag die traumatischen zwölf Jahre“ memoriere. Was leichtfalle, weil „beinahe in jeder Familiengeschichte“, an jedem Ort, „immerzu irgendwo in Deutschland“ an „Stolpersteinen, Mahnmalen, Gedenktafeln“ die NS-Ära präsent sei. Wie es dazu kommen konnte, dafür hat der 1962 in Cuxhaven geborene, gleichwohl vom Furor gegen alles Norddeutsche und Preußische („eigentliche Anomalie deutscher Geschichte“) gepeitschte Kirchenhistoriker eine simple Erklärung: Je weiter weg Deutsche vom Rhein lebten, vom Humanismus Frankreichs, das Kaufmann sich vorstellt ohne Ludwig XIV., Napoleon, Poincaré und Kolonialismus, desto anfälliger seien sie für die „toxische Ideologie“ des Nationalismus gewesen. 


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