© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/21 / 15. Oktober 2021

Es gehorcht sich so schön
Josef Kraus präsentiert eine rücksichtslose Analyse des deutschen Untertanengeistes
Manfred Schwarz

Josef Kraus’ Grundthese lautet: Der Untertanengeist ist lebendiger denn je. Lebte Thomas Mann noch, würde er wohl heute den Satz wiederholen, den er zu Weihnachten 1940 in seiner „Rede an die Deutschen“ geprägt hat: „Euer Gehorsam ist grenzenlos, und er wird (…) von Tag zu Tag unverzeihlicher.“ Dieses Wort paßt heutzutage – in Zeiten der Flüchtlingskrise, der drohenden Islamisierung, der Klimapolitik und von Corona – immer noch wie die Faust aufs Auge. Für seine These, daß „der Deutsche“ schon früher ähnlich war wie er heute ist, zieht Josef Kraus in seiner Tour d’horizon natürlich als Beleg auch Diederich Heßling aus Heinrich Manns Werk „Der Untertan“ heran: Die Hauptfigur ist obrigkeitshörig, ängstlich und feige, es fehlt ihr jegliche Zivilcourage.

Kraus bezieht sich auf seinen überaus spannend zu lesenden Seiten ebenfalls auf Friedrich Nietzsche, der auch schon unter dem deutschen Untertanengeist gelitten hat, und auf Martin Luther, der freilich die „Obrigkeit“ für „Gottes Dienerin“ hielt. Politischer Widerstand? Bereits bei Luther streng verpönt. Kraus verweist auf Winston Churchill; der soll gesagt haben: „Man hat die Deutschen entweder an der Gurgel oder zu Füßen.“

Der heutige Untertanengeist wird nach Meinung des Autors durch viele Quellen gespeist. Vor allem die „-ismen“ seien es, die den deutschen Michel immer wieder auf die Knie zwingen: Autoritarismus, Antirassismus, Multikulturalismus, Egalitarismus, Europäismus, Globalismus, Universalismus und der Genderismus. Eines der wichtigsten Herrschaftsinstrumente sei heutzutage die Political Correctness. Bereits Karl Marx habe geschrieben, die Sprache sei die Wirklichkeit der Gedanken.

Wer sich heute nicht dem linken Mainstream beuge, werde übel sanktioniert. Fundierte Kritiker des „progressiven Zeitgeistes“ werden, so Kraus, zu sozialen Aussätzigen erklärt, nicht wenige kritischen Geister verlören sogar ihre berufliche Existenz. Politisch unangenehme Wahrheiten dürften nicht mehr ausgesprochen werden: Wer kritisiert, gilt flugs als „Rechter“, womit er unausgesprochen als Rechtsradikaler denunziert wird, denn diese Begriffe werden als Synonym benutzt.

Der Autor erinnert an die Hexenverfolgungen im Mittelalter. Damals reichte schon eine bloße Denunziation, um als lästiger Geist auf dem Scheiterhaufen zu landen. Der Buchautor schreibt, daß der deutsche Michel sich in diesen Zeiten „politisch korrekt akklimatisiert, er merkt nicht mehr, daß die Umstände immer seltsamer, ja bedrohlicher werden“. Heute funktioniere „das Alarmsystem“ nicht mehr. Es gehe ihm wie dem berühmten „boiled frog“, also „dem Frosch, der das mehr und mehr erhitzte Wasser, in dem er hockt, nicht mehr registriert, bis er gegart ist“.

Die „Apportiermedien“ zeichnen tagtäglich ein unrealistisches Bild

Kraus versteht es, auch Themenkreise, die kompliziert sind, so zu beleuchten, daß der Leser schnell weiß, worum es geht. Seine Texte sind klug gegliedert, zahlreiche Zwischenüberschriften erhöhen die schnelle Übersicht. Er kann übrigens nicht nur sehr gut schreiben: Er hat ebenfalls eine erstaunliche Begabung, auf politischen oder wissenschaftsorientierten Veranstaltungen seine Zuhörer in seinen Bann zu ziehen. Josef Kraus war zwanzig Jahre Präsident des Deutschen Lehrerverbandes – des Konkurrenten der linken Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Er ist Mitglied der CSU. Er würde sicherlich dem berühmten israelischen Satiriker Ephraim Kishon schmunzelnd zustimmen, der einmal – gefragt, wo er denn politisch stehe – sinngemäß und treffend sagte: Weil ich nicht mehr links bin, gelte ich nun als rechts.

Der Autor beschreibt auch die Rolle der allgegenwärtigen Massenmedien, die mittlerweile in ihrer sehr großen Mehrheit von Journalisten beherrscht werden, die den Grünen, der SPD und der Partei Die Linke nahestehen. Diese „Apportiermedien“ (Josef Kraus) zeichnen den Bürgern tagtäglich Bilder, die mit den Realitäten der Gesellschaft in weiten Teilen nichts mehr zu tun haben. Seinem Urteil, daß „ein immer größerer Teil der arrivierten Medien zum Transmissionsriemen der Regierenden geworden“ ist, kann man nur zustimmen. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Längst gibt der linke mediale Mainstream sehr oft vor, was den vermeintlich progressiven Zeitgeist ausmacht. Mehr noch: Oftmals treiben Journalisten die Politiker als „Getriebene“ vor sich her, die nicht mehr wagen, den linksgewirkten Medien ernsthaft zu widersprechen. 

Josef Kraus: Der deutsche Untertan. Vom Verlust des eigenen Denkens. Langen Müller Verlag, München 2021, gebunden, 240 Seiten, 24 Euro

Foto: Jogger mit Corona-Schutzmaske in Hamburger Park 2020: Obrigkeitshörig, ängstlich und feige