© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/21 / 15. Oktober 2021

„Nimm das Geld und hau ab“
Viele Kunstwerke werden nicht verstanden und landen im Müll
Gil Barkei

In seinem 1981 in der Welt erschienenen Text „Und dann und wann ein Caspar David Friedrich“ kritisiert Armin Mohler die späte moderne Kunst, in der alles und jeder Kunst beziehungsweise Künstler ist: Es gehe bloß noch um die Form, die Art und Weise der Darstellung, nicht mehr um den Inhalt, den Gegenstand eines Bildes. Mohler ergänzte Arnold Gehlens Feststellung von 1960, „ein modernes Kunstwerk bestehe zur Hälfte aus dem mitgelieferten Kommentar“, dahin, „daß der Kommentar heute schon gut 90 Prozent ausmacht“. Anstatt das Werk auf sich wirken zu lassen, müßten Betrachter und Ausstellungsbesucher die daneben aufgestellten, ausführlichen und stets von subjektiver Interpretation Dritter gekennzeichneten Erklärtafeln studieren. 

Mittlerweile, vierzig Jahre später, dürften es oft endgültig 100 Prozent sein: Viele Kunstwerke sind ohne Beipackzettel gar nicht mehr als solche zu erkennen. Der abgedroschene Spott „Ist das Kunst oder kann das weg?“ ist tatsächlich bittere Realität geworden. Bitter für den überforderten und sich bisweilen veräppelt vorkommenden Kunstfreund, aber auch mit Folgen für so manches Œuvre und damit bitter für den Künstler. Denn einige undefinierbare Stücke überstehen ihre Zurschaustellung nicht unversehrt. Immer wieder werden Installationen und Co. für Müll oder Dreck gehalten, abgeräumt oder zerstört. 

Anfang 2016 schmiß eine Reinigungskraft der Mannheimer Philippuskirche die Flüchtlingskrise-Installation „Behausung 6/2016“ aus goldfarbenen Rettungsfolien von Romana Menze-Kuhn einfach weg. Den Mülleimer mit den Resten machte die Künstlerin kurzerhand zum Ersatz-Kunstwerk und nannte es bezeichnenderweise „Behausung 6a/2016“ – so schnell geht das. Auch wenn Menze-Kuhn schon „sehr empört“ war über diese „Respektlosigkeit“. „Schließlich sei das Werk mit den auf dem Boden festgeklebten Folien, die skulptural so geformt gewesen seien wie Zuflucht suchende Menschen, als Einheit deutlich zu erkennen gewesen“, wie sie es dem Spiegel damals schilderte.

Vor zehn Jahren entfernte eine Putzfrau des Dortmunder Ostwall-Museums die Kalkschicht der Auffangwanne im Kunstwerk „Wenn’s anfängt durch die Decke zu tropfen“ von Martin Kippenberger. Glücklicherweise war es mit stolzen 800.000 Euro versichert.

Manche Leute sind die Kunstexperten leid

Aufräumen im großen Stil hieß es 2007 auf der Documenta, wo die Kasseler Straßenreinigung zu Kreuzen ummodulierte Fahrbahnmarkierungen der Chilenin Lotty Rosenfeld mißverständlicherweise wegbürstete.

Doch auch schon in den Achtzigern kam es zu unfreiwilligen Attacken von vermeintlichen Kunstbanausen. 1986 entfernte der Hausmeister der Kunstakademie Düsseldorf einen von Joseph Beuys in einer Ecke seines Ateliers angebrachten fünf Kilo schweren Butterhaufen – eine Plastik „als ständiges Demonstrationsobjekt“. Johannes Stüttgen entdeckte den Klumpen in einem Abfalleimer, konservierte ihn und machte ihn mit der Bezeichnung „Reste einer staatlich zerstörten Fettecke“ erneut berühmt. So werden einige Projekte erst durch ihre Zerstörung noch populärer.

Jetzt wäre es natürlich leicht, die Schuld abgehoben bei Putzfrauen, Straßenkehrern und „Facility Managern“ zu suchen, die zu ungebildet, zu phantasielos, zu unkreativ seien. Dabei fühlt man sich angesichts der kulturschaffenden Dreistigkeit, Kunst zu (v)erklären vielmehr in den Ohrensessel von Thomas Bernhards Erregung „Holzfällen“ versetzt, aus dem der Betrachter das „künstlerische Leben“ und die „künstlerische Welt“ verachtend beobachtet: „Alle diese Leute waren ja einmal tatsächlich Künstler oder wenigstens Kunsttalente, (…) jetzt sind sie alle nur mehr noch ein einziges Kunstgesindel.“

Aktuell ist es der Künstler Jens Henning, der für Aufsehen sorgt. Das dänische Kunstmuseum Aalborg hatte ihm 74.000 Euro für die Wiederholung eines seiner Werke überlassen, in dem er aus Geldscheinen eine Collage zum Thema Jahresgehalt erstellt hatte. Doch der dänische Künstler will dem verdutzten Museum nun lediglich zwei leere Bilderrahmen übergeben. Titel seines Meisterwerks: „Nimm das Geld und hau ab“.

Und so ist es nicht verwunderlich, wenn einige „einfache Leute“ keine Lust auf allzuviel Nähe zur hochtrabenden Kreativbohème haben. 1952 ließen die Bewohner einer polnischen Arbeitersiedlung ein Wandgemälde von Pablo Picasso leider wegmachen; sie waren die nervigen Besuche der selbsternannten Experten und Kunstliebhaber in ihrem Viertel leid.