© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/21 / 15. Oktober 2021

Der Flaneur
Petra heil!
Von Bernd Rademacher

Die tägliche Hunderunde führt am Kanal entlang, weil hier keine Anleinpflicht besteht. Man trifft immer dieselben Figuren: Jogger, Radfahrer, nordic-walkende Hausfrauen (Achtung #MeeToo: „Stockenten“), Hundebesitzer und Typen, die vormittags schon die Pulle am Hals haben.

Und natürlich Angler. Da gibt es verschiedene Sorten: die sportlichen, die mit der Rute an der Spundwand entlangschlendern, und die Sitzer, die in Tarnklamotten auf einem Campingstuhl festgewachsen sind.

Manchmal dümpelt sogar ein kleines Bötchen mit ein oder zwei Gestalten unter zeltplangroßen Regencapes darin hier herum.

Aber alle sind Männer. Ich habe noch nie eine Anglerin gesehen. Jägerinnen gibt’s ja schon hinter jedem dritten Baum, aber ich kann mir keine Frau denken, die stundenlang schweigend aufs Wasser starrt und kistenweise Würmer und sonstige Ausrüstung neben sich auftürmt.

Das letzte Reservat ist gefallen. Jetzt bleiben wohl nur noch Rockerclubs.

Doch da sehe ich sie. Eindeutig eine Frau. Sie friemelt einen Köder an den Haken und schleudert die Schnur elegant ins trübe Wasser. Ihr Haar wirbelt wie in der Shampoowerbung.

„Was fängt man denn hier so?“, fange ich aus Neugierde ein Gespräch an. Sie antwortet: „Aale, Barsche und Hechte.“ Ha, da haben wir’s! Die hat doch keine Ahnung! Jeder Mann weiß, daß Hechte Kraut- und Schilfzonen, Stege oder überhängende Bäume als Deckung nutzen. Wo sollen die in einer wannenförmigen Wasserstraße denn Einstände finden?

„Das ist allerdings ungewöhnlich, da Hechte ja bekanntermaßen aus der Deckung von Schilfbereichen oder überhängenden Bäume jagen und im Kanal kaum Deckung finden“, doziert sie eloquent. Hmpf. Sie vermutet, daß Anglervereine die Räuber ausgesetzt haben. Na schön. „Heißt es jetzt ‘Petra heil’?“, verunglückt mein Versuch, witzig zu sein. „Nee, Petri heil paßt schon“, lacht sie trotzdem.

Das letzte Reservat ist endgültig gefallen! Wenn es schon Anglerinnen gibt, bleiben als Männerclub wohl nur noch die Rockerclubs.