© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/21 / 22. Oktober 2021

Ländersache: Brandenburg
Droht ein neuer Kollaps?
Peter Möller

Der Druck wächst. Seit Anfang des Jahres hat die Bundespolizei an der polnischen Grenze in Brandenburg gut 3.300 unerlaubt eingereiste Ausländer aufgegriffen. Tendenz stark steigend: Knapp ein Fünftel dieser Einreisen, etwa 700, fand nach Angaben der Bundespolizeidirektion Berlin in der vergangenen Woche statt, allein am vergangenen Wochenende seien 288 unerlaubt eingereiste Migranten in Gewahrsam genommen worden. Der Leiter der Zentralen Ausländerbehörde Brandenburgs in Eisen­hütten­stadt, Olaf Jansen, rechnet für Oktober bereits mit mehr als 3.000 illegalen Zuwanderern.

Auch an der Grenze Polens zu Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen steigen die Zahlen. Insgesamt sind laut Bundesinnenministerium seit August etwa 4.500 illegale Grenzübertritte an der polnisch-deutschen Grenze verzeichnet worden. Die Menschen stammen vornehmlich aus dem Irak, aus Syrien, aus dem Iran und aus dem Jemen und reisen zumeist mit dem Flugzeug über Belarus nach Europa ein. Von dort kommen sie über Polen beziehungsweise über Litauen und Polen nach Deutschland.

Nicht nur die politisch Verantwortlichen in Brandenburg beobachten die Entwicklung mit wachsender Sorge. In einem Schreiben an Innenminister Horst Seehofer (CSU) warnte der Vorsitzende der Bundespolizeigewerkschaft, Heiko Teggatz, vor der sich zuspitzenden Situation. „Seit mehreren Monaten steigen die Zahlen der Aufgriffe nahezu explosionsartig an.“ Nur durch temporäre Grenzkontrollen könne die Bundesregierung einem „Kollaps“ an den Grenzen wie 2015 vorbeugen, zitiert die Bild aus dem Schreiben. Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) reagierte indes zurückhaltend auf die Forderung nach Grenzkontrollen. „Ob die Kapazitäten der Bundespolizei ausreichen, mehrere hundert Kilometer Grenze zu Polen zu kontrollieren und ob der Aufwand sich lohnt, kann nur die Bundesregierung entscheiden“, sagte er am Montag der dpa und warnte vor einer „Eskalationsspirale“: „Grenzkontrollen oder gar Grenzschließungen würden das tägliche Leben für zigtausend Deutsche und Polen in der Grenzregion enorm belasten.“ Die AfD warf dem Innenminister daraufhin schwere Versäumnisse vor: „Wer Grenzkontrollen wegen Corona für angemessen hält und jetzt angesichts des anschwellenden Migrantenstroms darauf verzichtet, ist als Innenminister offensichtlich ungeeignet“, sagte ihr Fraktionschef im Potsdamer Landtag, Hans-Christoph Berndt, der JUNGEN FREIHEIT. Für die kommende Woche werde man daher eine Sondersitzung des Landtags beantragen. 

Die Bundesregierung scheint die Lage mittlerweile ernster einzuschätzen und befaßte sich in der Kabinettssitzung am Mittwoch mit dem Thema. Bereits am Dienstag wurde bekannt, daß Brandenburg verstärkt Hilfe von der Bundespolizei erhalten soll, die unter anderem die Erstkontrolle von Migranten übernimmt. Unterdessen rüstet sich das Land für weiter steigende Zahlen. Die übliche Kapazität von 3.500 Plätzen in den Erstaufnahmeeinrichtungen sei mittels beheizter Zelte kurzfristig auf 4.600 aufgestockt worden, berichtet Ausländerbehörden-Chef Jansen. Wahrscheinlich werde man auf 5.000 Plätze hochgehen, kündigte er im Tagesspiegel an.