© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/21 / 22. Oktober 2021

„Triumph ersten Ranges“
Islam: Köln macht den Weg für den Muezzinruf frei / Unterschiedliche Regelungen in den deutschen Großstädten
Florian Werner / Christian Vollradt

Seit Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) verkündet hatte, die islamischen Gemeinden in der Domstadt dürften künftig mittels „Modellprojekt“ einen Muezzin zum Freitagsgebet rufen lassen, ist die Debatte um das Für und Wider erneut entbrannt (JF 42/21). Reker hatte das Vorhaben zum „Zeichen des Respekts“ erhoben und mit der „gelebten Vielfalt“ in der Rheinmetropole begründet. Dort sollen inoffiziellen Zahlen auf Basis des Mikrozensus zufolge rund 11,9 Prozent der Stadtbewohner Moslems sein. Deutschlandweit beläuft sich ihr Anteil laut Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge auf 6,4 bis 6,7 Prozent der Gesamtbevölkerung. 

Zwei Jahre soll das Modellprojekt dauern. Die öffentlichen Muezzinrufe müssen beantragt und genehmigt werden und dürfen nur zwischen 12 und 15 Uhr für die Dauer von maximal fünf Minuten erfolgen. Der Psychologe und Autor Ahmad Mansour sprach sich unter Verweis auf seinen eigenen moslemischen Glauben gegen den Muezzinruf in deutschen Städten aus. Denn die Repräsentanten des politischen Islam sähen darin kein Zeichen von Toleranz. Ihnen gehe es „ausschließlich um mehr Sichtbarkeit, mehr Macht und mehr Unterwanderungsmöglichkeiten“, schrieb Mansour im Focus. Ähnlich ablehnend äußerte sich der Publizist Hamed Abdel-Samad in der Welt: „Der Muezzinruf trägt die Botschaft in die Städte, daß der Islam wächst und gedeiht und am Ende siegen wird. Jene, die den Gebetsruf hören, sollen nicht an Vielfalt denken, sondern an Allahu Akbar, das Primat des Islams. Das ist eine klare Ansage.“

„Kulturelle Gepflogenheiten  können nicht ausgeblendet werden“

Aus dem kirchlichen Raum kamen unterschiedliche Signale. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, äußerte sich grundsätzlich positiv: „Daß Muslime hier leben, daß sie auch ihre Religion ausüben, und nicht nur im privaten Kämmerlein, gehört für mich zu einer demokratischen Gesellschaft“, betonte er gegenüber dem Mannheimer Morgen. Ein offizielles Statement der EKD auf eine Anfrage der JUNGEN FREIHEIT lag bis zum Redaktionsschluß nicht vor. Seitens der katholischen Deutschen Bischofskonferenz hieß es, man sehe derzeit keine Veranlassung, sich auf Bundesebene dazu zu äußern, da das Prokjekt bislang nur die Stadt Köln betrifft. Auch das Erzbistums Köln wollte keine Stellungnahme abgeben. 

Das Katholische Büro Nordrhein-Westfalen teilte mit, es gebe „noch keine abgestimmte gemeinsame Position der fünf (Erz-)Bistümer“ in dem Bundesland. Eine „pauschale Gleichsetzung von liturgischem Glockengeläut und muslimischem Gebetsruf“ greife jedoch zu kurz, „weil die kulturellen Gepflogenheiten nicht ausgeblendet werden können“, heißt es in der Antwort des Direktors des Katholischen Büros, Domkapitular Antonius Hamers. So sei das Läuten „in unseren Breiten eine jahrhundertealte Tradition, und (auch liturgisches) Glockengeläut gehört zur Tagesstruktur vieler Menschen. Anders als der muslimische Gebetsruf, der eine religiöse Botschaft beinhaltet und direkt zum Gebet aufruft, hat das Läuten einen symbolischen Charakter und erinnert an das Gebet“, erläuterte Hamers. Deutliche Kritik äußerte der Vorsitzende der Konferenz Bekennender Gemeinschaften in den evangelischen Kirchen Deutschlands, Ulrich Rüß. Der Muezzinruf proklamiere immer auch den Herrschaftsanspruch des Islam: „Mit Religionsfreiheit und Offenheit hat das nur sehr wenig zu tun, mit wünschenswerter Integration auch nicht“, erklärte der Pfarrer für die christliche Medienagentur idea.

Das Modellprojekt positiv bewertet dagegen aus naheliegenden Gründen die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib), der größte islamische Verband in Deutschland. „Dies ist Ausdruck der Beheimatung der Muslime, die bereits seit Generationen in Deutschland als selbstverständlicher Teil der deutschen Gesellschaft leben“, teilte die Ditib mit. Ungeachtet dessen stellte der örtliche Ableger in Köln offenbar noch keinen Antrag auf Genehmigung des Gebetsrufs bei der Stadt.

Die JUNGE FREIHEIT hat sich bei den 70 größten Städten Deutschlands danach erkundigt, wie sie es mit dem Muezzinruf halten. Das Ergbnis ähnelt einem Regelungsflickenteppich. In den meisten Fällen, etwa in Leverkusen, Hildesheim oder Wolfsburg, liegen keine Informationen über diesbezügliche Anfragen von Moscheegemeinden vor.In Städten wie Wuppertal und Solingen war der Ruf nur während der Corona-Pandemie erlaubt, als der gemeinsame Aufenthalt in Innenräumen behördlich untersagt wurde. In beiden Fällen ist das Angebot gut angenommen worden. Städte wie Ingolstadt behalten sich eine rechtliche Prüfung des Gebetsrufes vor, sollte ein Antrag in diese Richtung gestellt werden. Braunschweig und Saarbrücken geben an, überhaupt keine Informationen zu dem Thema zu besitzen. Aus Chemnitz kommt die lakonische Antwort: „In Chemnitz haben wir keine Moschee.“ Allein Kiel, Hamm und Aachen erteilen  detailliert Auskunft. Während in Kiel drei moslemische Gemeinden an der Tradition festhalten, sind es in Aachen und Hamm zwei. In allen drei Fällen ist der Ruf anmeldepflichtig und darf eine bestimmte Lautstärke nicht überschreiten.

Mainz erlaubt den Muezzinruf grundsätzlich. Der Pressesprecher unterstreicht in seiner Antwort die Gleichartigkeit von Glockengeläut und moslemischem Ritual. In Erfurt liegen weder Anfragen zu dem Thema vor, noch wird der Ruf irgendwo in der Stadt praktiziert. In Hessen ist der islamische Gebetsruf nicht anmeldepflichtig, sondern grundsätzlich erlaubt. Dennoch teilte die Pressestelle der Stadt Darmstadt mit, der Muezzinruf sei dort nicht gestattet.

In einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey befürworten lediglich 18 Prozent der Befragten den Muezzinruf in Deutschland, 76 Prozent lehnen ihn ab. Zwei von drei Befragten (64 Prozent) meinen, der Gebetsruf solle „auf keinen Fall“ auf ähnliche Weise zu hören sein wie christliche Kirchenglocken.

Rein formal sind Glocken und Muezzinruf als „emittierende Anlagen“ – also Geräuschemacher – auf einer Stufe. Das Oberverwaltunggericht Münster hatte im vergangenen Jahr entschieden, der Ruf sei hinzunehmen, solange kein Zwang zur Religionsausübung davon ausgehe und Rechte Dritter nicht verletzt würden. Dennoch machte der ehemalige Präsident des nordrhein-westfälischen Verwaltungsgerichtshofs, Michael Bertrams, rechtliche Bedenken geltend. Es komme nicht nur darauf an, daß der Ruf des Muezzins erschalle, „sondern auch darauf, wozu da aufgerufen wird“, sagte er dem Kölner Stadtanzeiger. Die Ditib sei ohne Zweifel der verlängerte Arm des türkischen Präsidenten Erdoğan. Für den sei das Kölner Modellprojekt „ein politischer Triumph ersten Ranges“, meinte der Jurist.