© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/21 / 22. Oktober 2021

Kein Tempolimit auf dem Weg nach links
Ampel auf Grün: SPD, Grüne und FDP haben erfolgreich sondiert / In den Koalitionsverhandlungen können sich noch Fallstricke offenbaren
Jörg Kürschner

Knapp vier Wochen nach der Bundestagswahl nehmen SPD, Grüne und FDP Koalitionsverhandlungen auf, die überlagert werden von personellen Spekulationen über Ministerämter. Noch vor Weihnachten will die „Fortschritts-Koalition“ das amtierende Bündnis aus Union und SPD ablösen.

Im Ergebnis der Sondierungen zeigten sich die drei Parteien kompromißbereit, lassen aber keinen Zweifel daran, daß sie das Land entscheidend verändern wollen, insbesondere in der Gesellschaftspolitik. So bekommt die SPD ihren Mindestlohn von zwölf Euro; den Grünen wurde die Perspektive eines Kohleausstiegs „idealerweise“ bereits bis 2030 statt 2038 zugestanden, und die FDP freut sich über die Absage an Steuererhöhungen. Trotz demonstrativ zur Schau gestellter Eintracht und Zuversicht ist der Weg zur Bildung einer Ampel noch lang und steinig. Denn unbeantwortet ist bisher die Frage, wie Investitionen in Milliardenhöhe etwa im Klimaschutz finanziert werden sollen. „Im Rahmen der grundgesetzlichen Schuldenbremse“, heißt es dazu im Sondierungspapier. SPD-Chef Walter-Borjans will Kredite aufnehmen; die Schuldenbremse enthalte dafür Spielräume. Hinzu kämen die Möglichkeiten staatlicher Institutionen wie der Förderbanken von Bund und Ländern. Die FDP, die ihre Rolle als Garant solider Haushaltspolitik sieht, dürfte einer Aufnahme fehlender Mittel an der Schuldenbremse vorbei eigentlich nicht zustimmen. 

Das heikle Thema Finanzen hat es in sich. Wird ein FDP-Finanzminister die Schuldenbremse lockern? Lindner will das Amt mit grundgesetzlich verankertem Vetorecht im Kabinett, Grünen-Parteichef Robert Habeck will es auch. Der Oberliberale hatte den Grünen als zweistärkstem Partner indirekt ein noch zu schaffendes Klimaministerium schmackhaft machen wollen. „Es gibt das Bundeskanzleramt, es gibt das Finanzministerium, es gibt ein neues Klimaministerium.“ Nicht die Stärke der Fraktionen von Grünen und Liberalen entscheide darüber, wer den nächsten Bundesfinanzminister stelle. „Es ist auch nicht so, daß es einfach danach geht, welche Prozentpunkte erreicht worden sind.“ Eine klare Kampfansage. Keine Ampel ohne einen Finanzminister Lindner? So unterschiedlich die Vorstellungen in der Finanzpolitik auch sein mögen, in der Gesellschaftspolitik gibt es viele Schnittmengen: Die Ampel will das Recht „der gesellschaftlichen Realität anpassen“, heißt es etwas nebulös. In Wirklichkeit geht um einen Umbau der Gesellschaft, etwa durch Reformen des Staatsangehörigkeitsrechts, des Familienrechts und des Transsexuellengesetzes. Von der traditionellen Familie ist nicht die Rede. 

Mit einer Grundgesetzänderung, die allerdings ohne Zustimmung der Union nicht zu haben ist, soll das Verbot der Diskriminierung wegen sexueller Identität ergänzt und auch der Begriff der „Rasse“ ersetzt werden. Das Wahlalter soll auf 16 Jahre herabgesetzt werden – auch wenn in einer aktuellen Umfrage des Spiegels mehr als zwei Drittel der Deutschen dies ablehnen und sich nur 28 Prozent dafür aussprechen. Eine konservative Opposition dürfte die Vorhaben also aufgreifen.