© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/21 / 22. Oktober 2021

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Fackelschein und Schatten
Christian Vollradt

Der Reichstag im Fackelschein, davor Soldaten in Reih’ und Glied, glänzende Paradehelme, Marschmusik: Die Kulisse des Großen Zapfenstreichs der Bundeswehr zu Ehren der mehr als 150.000 Soldaten, die in den vergangenen 20 Jahren in Afghanistan gedient haben, erhitzte die Gemüter linker Politiker und Medienleute. Vor allem im Kurznachrichtendienst Twitter wimmelte es von Kritik am vermeintlichen Militarismus. „Was gibt es da zu feiern mit diesem militaristischen Mummenschanz?“, ereiferte sich die Linken-Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen. Und Grünen-Urgestein Hans-Christian Ströbele fragte empört: „Was soll das militaristische Ritual aus Preußen und NS-Zeit?“

Das Bundesverteidigungsministerium reagierte defensiv und zeigte sich „enttäuscht“ über Vergleiche mit dem dunkelsten Kapitel Deutschlands. Alles Militärische stoße „bei großen Teilen der deutschen Gesellschaft unmittelbar auf einen Pawlowschen Abwehrreflex“, analysierte der Politikwissenschaftler Carlo Masala, Professor für Internationale Politik an der Bundeswehr-Universität München, in einem Gastkommentar für die Welt. Würden Soldaten in Gesundheitsämtern zur Corona-Kontaktverfolgung helfen oder nach Hochwasser-Katastrophen mit schwerem Gerät Schutt beiseite schaffen, bekämen sie Applaus. „Aber wenn es um das Kerngeschäft deutscher Streitkräfte geht – kämpfen, töten und getötet werden – wenden sich große Teile der deutschen Gesellschaft eher angewidert ab.“ Und „über die Frage, warum ein Staat eine Armee braucht, will man auch gar nicht nachdenken“, kritisierte der Professor. 

Doch daneben gab es vor allem aus dem Bundestag fraktionsübergreifend auch anerkennende Worte. Von einem angemessenen Zeremoniell sprachen Politiker von Union, SPD, FDP und Grünen. Der verteidigungspolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Rüdiger Lucassen, nannte die Ehrung „würdevoll“. Die Bundeswehr habe „20 Jahre treu ihre Pflicht in einem politisch unsinnigen Einsatz geleistet.“ Beim Abschlußappell zuvor hatte der scheidende Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) durchaus selbstkritische Töne angestimmt, als er die Soldaten direkt ansprach: „Wir, die Abgeordneten, die Sie in diesen Einsatz geschickt haben, haben gelernt: Der von uns erteilte Auftrag konnte nicht so erfüllt werden, wie wir es erhofft hatten.“ Die Volksvertreter müßten daraus nun die richtigen Schlüsse ziehen: „Das ist unsere Verantwortung, das sind wir Ihnen schuldig, den Veteranen, den Gefallenen, den im Einsatz Verstorbenen und ihren Familien und den Kameraden, die versehrt zurückgekehrt sind“, so Schäuble.

Unterdessen äußerten auch Veteranen Kritik am Ablauf der Veranstaltung. Ehemalige Teilnehmer des Afghanistan-Einsatzes hätten wegen der großräumigen Absperrungen im Regierungsviertel keine Gelegenheit gehabt, das Zeremoniell hautnah mitzuverfolgen. Stattdessen mußten sie dem Zapfenstreich, der ihnen zu Ehren stattfand, in einem Biergarten am Fernsehschirm zuschauen.