© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/21 / 22. Oktober 2021

Denkmal der Woche
Sorben mit Sorgen
Paul Leonhard

Der Czorneboh gilt als geheimnisvollster Berge der Oberlausitz. Im Siedlungsgebiet der Sorben gelegen, soll er nach dem schwarzen Gott (čorny bóh) benannt worden sein. Als sich aber die Menschen nicht mehr fürchteten und sich beim Anblick des „Teufelsfußes“ lediglich alte Sagen erzählten, errichteten sie auf dem 556 Meter hohen Berg einen Aussichtsturm, einen Berggasthof und 1904 ein Bismarck-Denkmal. Von Anton Schwarz aus Sandstein gehauen, überdauerte es sogar die Gründung der DDR. Erst 1950 zerschlugen es Aktivisten der FDJ. Schon damals ging es um die politisch-historische Deutungshoheit. Und die SED hatte die Argumente noch nicht gefunden, mit denen sie den Eisernen Kanzler später für sich vereinnahmte. Die Sorben, katholisch, konservativ und anpassungsfähig, haben dem Fürsten dagegen nie verziehen. Bismarck war es schließlich, der ihnen ihre Sprache verboten hatte. Und so wütet die sorbische Dachorganisation Domowina gegen einen Beschluß des Hauptausschusses der Stadt Bautzen, 20 Kilometer vom Czorneboh gelegen, der vorsieht, den Kanzler auf Initiative und Kosten des Gesangsvereins „Bautzener Liedertafel“ zurück auf den vorhandenen Sockel zu heben: drei Meter hoch, anderthalb Tonnen schwer. Bismarck sei doch ein „Feind der Menschenrechte“, schimpft die Domowina. Er tauge nicht als „positiver Bezugspunkt der Erinnerungskultur einer demokratischen, solidarischen und weltoffenen Gesellschaft“. In Bautzen ist Bismarck plötzlich in aller Munde. Die einen verteufeln ihn als Kriegstreiber, die anderen loben ihn als Sozialpolitiker. Oberbürgermeister Alexander Ahrens (SPD) findet das gut. Auch angesichts der Geschichtsvergessenheit der Gegner. Der Sozialdemokrat hat für das Denkmal gestimmt: „Wir müssen uns unserer Geschichte stellen.“