© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/21 / 22. Oktober 2021

Das laute Schweigen der Grünen
Österreich: Aus Angst, vom Wähler abgestraft zu werden, setzen Werner Kogler & Co auf ein „Weiter so“
Robert Willacker

Nach dem Rücktritt von Sebastian Kurz als Bundeskanzler ist in der Regierungskoalition zumindest nach außen hin Ruhe eingekehrt. Nicht nur die Bundesfraktion der Grünen, sondern auch deren Parteispitzen in den Ländern zeigten sich hinsichtlich der weiteren Regierungsarbeit optimistisch: „Das war das Ansinnen der Grünen, um volle Handlungsfähigkeit des Amtes ‘Bundeskanzler’ zu gewährleisten“, faßt die Grünen-Landessprecherin aus Niederösterreich, Helga Krismer, die Zufriedenheit zusammen. 

Auch seitens der Wiener Grünen, die als basisnah und streitfreudig gelten, war keine öffentliche Kritik an der Koalitionsfortsetzung mit der von Korruptionsvorwürfen belasteten ÖVP zu vernehmen, als sie eine neue Parteisspitze wählten. Mit Peter Kraus und Judith Pühringer wurde dabei erstmals ein Duo an die Spitze gewählt, das mit 83,6 Prozent der Delegiertenstimmen ein für grüne Hauptstadtverhältnisse bemerkenswert gutes Ergebnis erzielte. Das frischgewählte Zweiergespann betonte, daß die vergangenen Wochen gezeigt hätten, „wie fatal es sein kann, wenn zu viel Macht in nur einer Person gebündelt wird“, ließ es aber bei diesem Seitenhieb in Richtung ÖVP bewenden. 

Doch laut Personen aus dem Regierungsumfeld gehe prominenten Grünen der Wechsel an der Regierungsspitze nicht weit genug – sie wollen auch den Rückzug des engen Kurz-Vertrauten Gernot Blümel. Sein Finanzministerium steht im Mittelpunkt von Vorwürfen rund um mutmaßliche Scheinrechnungen für gefälschte Umfragen und gekaufte Berichterstattung im Boulevard. 

Auch daß mit Karl Nehammer ein ÖVP-Politiker das Innenministerium weiterführt, der damit Einfluß auf die Korruptionsermittlungen gegen seine Partei nehmen könnte, stößt manchem Grünen sauer auf. Vor allem fürchtet man jedoch, bei  Neuwahlen für das Festhalten an der Koalition vom Wähler abgestraft zu werden. 

Demgegenüber steht eine innerparteiliche Mehrheit rund um den Bundesparteivorsitzenden und Vizekanzler Werner Kogler, die vor allem das grün geführte Justizministerium unter Führung der bosnischstämmigen Alma Zadić als Garanten für die weitere Aufklärung der Korruptionsvorwürfe sehen. Die Angst vor einem Absturz bei Neuwahlen wird auch hier geteilt, wenn auch aus anderen Gründen: Die Grünen konnten bisher kaum eigene Leuchtturmprojekte umsetzen, mußten statt dessen in den Bereichen Migration und Asyl vieles mittragen, das den eigenen Überzeugungen diametral entgegenstand. 

Mit dem Verbleib in der Koalition möchte man grüne Prestigeprojekte wie die öko-soziale Steuerreform absichern, mit der die Grünen im nächsten Wahlkampf punkten wollen.