© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/21 / 22. Oktober 2021

Aufstieg mit Hindernissen
Italien: Seit Monaten fährt Giorgia Meloni, Chefin der Fratelli d’Italia, auf der Überholspur. Nun spürt sie Gegenwind
Marco F. Gallina

Es war keine einfache Woche für Giorgia Meloni. Die italienischen Kommunalwahlen hatten die Hoffnung geschürt, daß ihre Partei, die Fratelli d’Italia (FdI), dem Bündnis rechts der Mitte neuen Auftrieb geben würde. Aber trotz einiger Rekordergebnisse konnte keine der großen Städte des Landes gewonnen werden – inklusive Rom, das nicht nur als Hauptstadt eine prestigeträchtige Rolle spielt, sondern auch eine ganz persönliche für Meloni.

 Rom, das ist ihre Heimat; und Rom, das war die Stadt, die sie einst als Bürgermeisterin selbst regieren wollte. Besonders bitter: als eine der wenigen Hauptstädte Europas gilt Rom traditionell als konservative Hochburg, in der mit Gianni Alemanno einst ein Parteikollege Melonis erster Bürger der Ewigen Stadt war. Schlimmer hat es nur die Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) getroffen, deren Machtbastionen komplett erodiert sind.

Ihre Corona-kritische Politik kam nicht bei jedem Römer an 

„Das rechte Lager hat verloren, aber das ist kein Debakel“, sagt die Parteichefin der „Brüder Italiens“. Sie verteidigt das Ergebnis damit, daß in dieser Wahl die Sozialdemokraten die Positionen zurückerobert hätten, die ihnen die Sterne vor fünf Jahren genommen hätten. Doch Meloni ist offensichtlich zerknirscht. 

Seit Monaten hat sie als Oppositionsführerin Sympathien und Umfragewerte gewonnen. Die FdI, die früher zwischen drei und fünf Prozent lavierte, kommt bei einigen Instituten auf bis zu 20 Prozent. In einigen Mittelstädten und in der Region Kalabrien hat das rechte Lager seine theoretischen Werte auch in reale Stimmen umgewandelt und gewonnen. Doch Meloni, die – anders als Matteo Salvini mit der Lega oder Silvio Berlusconi mit der Forza Italia – nicht der Regierung von Ministerpräsident Mario Draghi beigetreten ist, hatte sich mit ihrer Corona-kritischen Politik mehr erhofft.

Ausgerechnet der Erfolg der vergangenen Monate wird Meloni zum Verhängnis. Als Salvini auf dem Zenit stand und Melonis Fratelli es nur knapp in die Parlamente schafften, galt sie als seriöse Alternative, als das glaubwürdigere und schönere Gesicht der Rechten. 

Jetzt, da Salvinis Stern in der Regierung sinkt und der Lega-Chef sich scharfe Kritik von ehemaligen Stammwählern anhören muß, richten sich die Kanonenrohre der linken Presse vor allem gegen die grazile Römerin mit dem unheimlichen Erfolg. Bei den Ausschreitungen in Rom am 9. Oktober, an denen die rechtsextreme „Forza Nuova“ erheblichen Anteil hatte, wurde eine Nähe Melonis wegen ihrer impfkritischen Position und ihrer eigenen Vergangenheit in der „Fronte della Gioventù“ suggeriert. Die „Front“ war die Jugendorganisation des Movimento Sociale Italiano, der Nachfolgepartei der faschistischen Partei Mussolinis. Geschickt nutzte die Linke die Proteste, um eine faschistische Bedrohung des Landes zu suggerieren, was das gesamte rechte Lager und speziell Meloni unter Druck brachte. Inwiefern diese Instrumentalisierung Auswirkungen auf die Stichwahl in Rom hatte, bleibt Spekulation.

„Italien ist reif für eine erste Premierministerin“

Dabei ist Meloni keine Außenseiterin in der Politik. Mit 31 Jahren ernannte sie Berlusconi zur Ministerin für Jugend und Sport – im Jahr 2008. Ihr eilt der Ruf voraus, überlegter und rationaler zu sein als der manchmal polternde Salvini, ohne jedoch leidenschaftslos aufzutreten. 

1977 in Rom geboren, wuchs sie im roten Arbeiterviertel Garbatella auf. Dort schlug sich die junge Aktivistin auch mal als Kellnerin oder Kindermädchen durch. Ihre Bodenständigkeit hat sie bis heute behalten. Ihre Leitfiguren erkennt sie nach eigener Aussage in Ronald Reagan und Johannes Paul II. – und nicht etwa in Mussolini, den sie als „komplexe Figur“ bewertet. 

Profil und Ausstrahlung erinnern an ein Mitglied der Le-Pen-Familie, das zwischen Marine und Marion Maréchal angelegt ist. Sie tritt für nationalkonservative Werte ein, unterscheidet sich aber von Salvini mit einem deutlicheren Bekenntnis zu Nationalismus und Etatismus. 

Mit dem Lega-Chef unterhält sie ein gutes Verhältnis, das sich jedoch mit jedem Prozentpunkt, den die FdI an die Lega heranrückt, zur Konkurrenz wandelt. Ihr wachsendes Selbstbewußtsein hatte sie im vorigen Jahr formuliert: „Italien wäre reif für eine erste Premierministerin.“ Meloni ist die einzige weibliche Vorsitzende einer italienischen Parlamentspartei.

Foto: Oppositionsführerin Giorgia Meloni: Ihre Leitfiguren erkennt sie nach eigener Aussage in Ronald Reagan und Johannes Paul II.