© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/21 / 22. Oktober 2021

Feuer unterm Hintern
Volkswagen-Werk in Wolfsburg: Konzernchef Herbert Diess drängt auf eine Wettbewerbsfähigkeit mit dem Konkurrenten Tesla
Christian Schreiber

Die Zahlen des Stammwerks von Volkswagen in Wolfsburg sind alarmierend: Noch nie wurden dort so wenige Autos gebaut wie in diesem Jahr. Und das hat nicht nur mit der Corona-Krise zu tun. Die Pläne von Konzernchef Herbert Diess versetzen die Belegschaft in Alarmbereitschaft. 

Mit radikalen Überlegungen zum Arbeitsplatzabbau hatte er Ende September die Aufsichtsräte überrumpelt und für einen internen Aufstand gesorgt, wie das Handelsblatt berichtete. „Es hat gerappelt. Diess hat ein Horrorszenario präsentiert und Gegenwind von allen bekommen“, heißt es demnach aus Teilnehmerkreisen. Laut dem Vorstandsvorsitzenden stehen im Extremfall bis zu 30.000 Stellen zur Disposition, wenn VW nicht mehr wettbewerbsfähig ist. 

In der vergangenen Woche hatte er seine Mitstreiter dann zu einer Managertagung in die österreichischen Alpen geladen. Vorab ruderte er in einer Mitteilung zumindest ein wenig zurück und versicherte, daß ein unmittelbarer Eingriff in der dargestellten Höhe nicht vorgesehen sei. „Ein Abbau von 30.000 Stellen ist kein Thema.“ Allerdings müßten Kostenlage und Auslastung von Fabriken intensiv diskutiert werden. Ganz so einfach kann Diess ohnehin nicht durchregieren: Zum einen gilt – zumindest für die deutschen VW-Standorte – eine Beschäftigungsgarantie bis 2029. Zum anderen haben Betriebsrat und das Land Niedersachsen Vetorechte über den Aufsichtsrat. Beide halten es nicht für nötig, Stellen abzubauen. Möglicherweise geht es Diess darum, ein Zeichen zu setzen. 

Bereits Anfang Oktober mahnte er, es könne nicht alles so bleiben, wie es derzeit in Wolfsburg sei. Es müsse ein Ruck gehen durch das Werk, die Stadt und die ganze südostniedersächsische VW-Region, verdeutlichte er gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. „Wir müssen Wolfsburg endlich zukunftsfähig machen.“ 

Diess verweist auf Tesla als Maßstab

Überdies müsse sich der Standort einem „nie dagewesenen Wettbewerb“ in der Branche stellen. Dabei rief Diess die geplante neue Fabrik des amerikanischen Elektroautobauers Tesla als Maßstab aus, in der ein Auto schneller gebaut wird als bei VW. Das traditionsreiche Stammwerk in Wolfsburg weise „verkrustete Strukturen“ auf, kritisierte er. Zudem sprach er der eigenen Stammbelegschaft den „Lebenswillen“ ab. In Österreich, unweit von Kitzbühel, soll Diess abermals den Fokus auf E-Mobilität und Tesla gerichtet haben. Der Abstand zu diesem Konkurrenten vergrößere sich. „Sie werden schneller. Sie liefern. Sie werden besser im Bauen von Autos. Sie sind die einzige Marke, die trotz Covid wächst.“ 

In Grünheide bei Berlin will das besagte Unternehmen bald eine Fabrik einweihen, in der ein Elektroauto in unter 15 Stunden produziert wird. VW braucht mehr als doppelt so lang. Nach seinem Vortrag schaltete Diess kurzerhand Elon Musk, den Chef des Elektroautobauers aus den USA, in die Tagung hinzu. In dem Grußwort bezeichnete dieser VW als Ikone – er selbst habe lange Zeit verschiedene VW-Modelle und einen Porsche 911 gefahren. Eine Transformation sei aber notwendig, wolle man nicht Teil der Geschichtsbücher werden. 

Auf Nachfrage von Diess erklärte er, seine Firma produziere aufgrund des Führungsstils des Unternehmens so viel schneller. „Ich bin in erster Linie Ingenieur, und neben dem Auto faszinieren mich Lieferketten, Logistik und Produktionsprozesse.“ Hinsichtlich der Sorgen von VW beim Übergang zur E-Mobilität zeigte er sich optimistisch, daß der Konzern den Wandel meistern werde. Er sehe das Unternehmen als seinen größten Herausforderer. Die Marke VW, der Kern des Volkswagen-Konzerns, leidet unter hohen Kosten und niedriger Produktivität. Vor dem Beginn der Corona-Krise lag letztere bei gut vier Prozent. 

Das muß sich nach dem Willen von Diess und Markenchef Ralf Brandstätter schnell ändern. „Wir streben in allen Werken weltweit eine Produktivitätssteigerung von fünf Prozent jährlich an“, bekräftigte Brandstätter kürzlich. Betriebsratschefin Daniela Cavallo nannte die Situation „besorgniserregend“. 

Im Stammwerk, wo derzeit vor allem die früher erfolgreichen Verbrennermodelle Golf und Tiguan gebaut werden, sollen nun früher als bislang geplant Elektroautos gebaut werden. „Der Standort braucht einen rascheren Weg in die E-Mobilität“, bekräftigte Cavallo gegenüber der FAZ. Es müsse sich dabei um ein „volumenfähiges Modell“ handeln.

Wolfsburg-Werk soll ab 2024 eigenes E-Modell produzieren

Um die Wolfsburger Probleme zu lösen, will Cavallo umschichten. Nach dem Willen der Betriebsräte soll nun schon 2024 ein E-Modell in Wolfsburg hergestellt werden. Damit scheinen sie den Nerv des Chefs zu treffen, der mit Blick auf das Tesla-Werk in Gründheide mahnte: „Nur wenn wir hier demonstrieren, daß wir in einer Entfernung von 200 Kilometern wettbewerbsfähig sind, werden wir auch weltweit wettbewerbsfähig sein. Wolfsburg hat einen entscheidenden Part. Ich habe, wenn ich an Wolfsburg denke, nicht den Abbau von Arbeitsplätzen im Kopf. Mir geht es darum, wie wir miteinander arbeiten, effizient und schneller werden“, sagte Diess. Möglicherweise trägt sein Weckruf doch noch Früchte.