© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/21 / 22. Oktober 2021

Keine ideologische Willensgemeinschaft
Der Historiker Daniel Hedinger beleuchtet die Koalitionsmächte Deutschland, Italien und Japan und versucht in dieser Achse das Bestreben zu einer faschistischen Weltordnung zu erkennen
Eberhard Straub

Der Westen“ ist eine ideologische Gemeinschaft, die sich im Ersten Weltkrieg zusammenschloß und sich nach dem Zweiten Weltkrieg unter der Führung der USA dazu aufgerufen fühlte, die Welt insgesamt zu verwestlichen und mit ihren „Werten“ zu durchdringen. Der große Feind, den er besiegte, war „der Faschismus“, weshalb der „Antifaschismus“ seine dauernde Legitimierung blieb. Die wehrhaften „Antifaschisten“ halten den „Faschismus“ am Leben, obschon keiner genau zu bestimmen vermag, was der Faschismus war und ist. Gegen den Westen im Bund mit der Sowjetunion stritten Deutschland, Italien und Japan. Ihre Allianz, die Achse Berlin–Rom–Tokio, möchte Daniel Hedinger als Mittel verstehen, eine faschistische Weltordnungsidee durchzusetzen in Konkurrenz mit dem humanitär-demokratischen „Westen“ und der sowjetrussischen Weltrevolution. Mit seiner Geschichte der Achse will er zugleich eine Geschichte des globalen Faschismus schreiben.

Auf Begriffe kommt es dabei nicht an. Faschismus, Globalismus oder eine umfassende geistige, soziale, politische Weltordnung aus dem Geiste des Faschismus werden als Redensarten verwandt, die nicht weiter erklärt werden müssen. Ein Pedant ist, wer sich beim Spiel, Begriffe statt Schiffe zu versenken, nicht beteiligen mag. Doch wohl oder übel besteht historische Methode darin, Sachverhalte zu komplizieren, um überhaupt annäherungsweise im Sinne Rankes verstehen zu können, wie frühere Verhältnisse eigentlich gewesen waren. Nationalsozialisten und Faschisten unterschieden sich voneinander, ja sie vereinigten in ihren jeweiligen Parteien mannigfache Strömungen, die gar nicht so leicht in Übereinstimmung gebracht werden konnten. Japanische Offiziere, Politiker oder Journalisten beschäftigten sich zuweilen mit den nationalsozialistischen oder faschistischen Strömungen, ohne deshalb, geprägt von ihren ganz anderen Traditionen, zu „Faschisten“ zu werden.

Darauf weist Daniel Hedinger selber hin, ohne sich aber davon irritieren zu lassen. Denn es gibt ja nun einmal für ihn und seinesgleichen faschistische Kriege und faschistische Kriegführung, faschistische Kulturpolitik und das faschistische Spektakel, den sich selber feiernden und sich dabei inszenierenden Faschismus, was alles zum „radikalisierten Großraumimperialismus faschistischer Machart“ unvermeidlich gehört. Erst im Krieg, den Faschisten als totalen führen, finden die globalen Faschisten gleichsam zu sich selber wegen ihres Hangs zu gesteigerter Gewaltanwendung in vernichtender Absicht, immer bereit, der radikalsten Lösung zu vertrauen. Zu solchen Werturteilen gelangt Daniel Hedinger nicht durch Vergleiche etwa mit den Briten oder US-Amerikanern. Diese kämpfenden Antifaschisten kommen in einem von ihm behaupteten Weltkrieg über verschiedene imperiale Ordnungen, mit denen die Welt beherrscht werden sollte, überhaupt nicht vor, obschon die Aktionen der sogenannten faschistischen Mächte vorzugsweise Reaktionen auf Pläne oder Handlungen ihrer Feinde waren.

Insofern wird der globale Faschismus als aggressiver Versuch verstanden, „die Moderne“ und ihre Rationalität zu überwinden, ohne dessen Zusammenhang mit der Welt, in der er sich entwickelte, zu berücksichtigen. Auf diese Art kann sich allerdings gar kein „globales“ Gesamtbild ergeben. Nur beschäftigt mit der Dynamik des „Faschismus“, der kein Innehalten und keinen Stillstand kennt, vermag Daniel Hedinger gar nicht die jeweiligen politischen Erwartungen der drei Regierungen zu erläutern, die oft genug auf nicht miteinander zu vereinbarende Ziele gerichtet waren. Die Achse war keine ideologische Willensgemeinschaft. Mit den jeweiligen Verträgen untereinander verständigten sich während wechselnder Gegebenheiten die drei Mächte von Fall zu Fall, ohne dabei aufrichtig miteinander umzugehen. Das war kein besonders faschistisches Merkmal.

In sämtlichen Allianzen fällt es stets schwer, alle verschiedenen Interessen zu vereinigen. Auf der Seite der Alliierten erfuhr etwa Charles de Gaulle zu seiner Erbitterung, mit wieviel mißtrauischer Schlauheit ihn Churchill und Roosevelt behandelten. Vorsichtige bis unverhohlene Verschlagenheit ist kein unwestliches Verhalten. Differenzen mußten sich ergeben, weil die drei Achsen-Mächte, wie Daniel Hedinger selber immer wieder erwähnt, über gar kein gemeinsames Weltordnungsprogramm verfügten. Die Idee vom neuen Römischen Imperium, die deutschen Überlegungen zu einem Großraum mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte oder die Hoffnungen von Japanern auf eine ostasiatische Vereinigung unter ihrer Führung konnten sich gelegentlich ergänzen, aber sie galten nicht einer faschistischen Weltordnung. Davon besaß keiner eine Vorstellung außer einigen US-Amerikanern, die in Deutschen den Feind bekämpften, der es ihnen und dem „Westen“ verwehren wollte, ihre Ordnung, die die Deutschen als Unordnung auffaßten, in der gesamten Welt verbindlich zu machen.

Wenn allerdings etwas die Achsenmächte zusammenhielt, dann ihr gemeinsamer, freilich unterschiedlich nuancierter Protest gegen die geistige und politische Weltherrschaft der „Angelsachsen“, deren kapitalistischer Materialismus sich mühelos mit dem sozialistischen verständigen konnte. Doch diese gemeinsame Haltung veranschaulicht nicht einen die Welt umfassenden Faschismus, sondern er ergab sich aus allen möglichen Vorbehalten, die  weit in das 19. Jahrhundert zurückreichen und die sich nach dem Ersten Weltkrieg verschärften unter dem Eindruck eines Friedens, der gerade keine neue Ordnung erlaubte. Denn allzu viele fühlten sich benachteiligt und wollten dieser Unordnung überwinden, nicht einmal Siegermächte wie Italien und Frankreich stellte er zufrieden.

Überhaupt ist es bedauerlich, daß Daniel Hedinger Frankreich kaum beachtet, wo sich ohne nennenswerte faschistische oder nationalsozialistische Parteien von links bis rechts sehr aufgeschlossene Aufmerksamkeit für die Ideen in Deutschland und Italien regte, aus Enttäuschung über die vor den neuen Herausforderungen versagende Republik mit ihrem ineffizienten Parteiensystem und angesichts einer geistlosen Bourgeoisie, die nur an Geschäfte dachte und mit ihrer Betriebsamkeit jeden Zusammenhang mit dem Leben und der Wirklichkeit eingebüßt hatte. Junge Franzosen verachteten, zwischen Rom, Berlin und Moskau gestellt, ein veraltetes Frankreich, das sich ängstlich in einer Welt von Fiktionen einmauerte, ohne auch nur dann und wann Fenster zu öffnen, um frische Luft hineinzulassen. Die unruhigen Diskussionen unter damaligen Franzosen könnten dazu verhelfen, die unruhigen jungen Italiener und Deutschen besser zu begreifen, die im facettenreichen Faschismus oder im Nationalsozialismus mit seinen eigenwilligen Strömungen Antworten auf ihre Fragen suchten.

„Der Westen“ hatte an Attraktivität verloren, was nicht an bösartigen Faschisten lag und ihrer Weltverschwörung gegen die Demokratie. Es war die Demokratie selber, die in Verdacht geriet, unfähig zu sein, eine stabile Friedensordnung zu ermöglichen. Um die Welt von gestern zu verstehen, muß man diesen Verdruß ernst nehmen. Daß Demokraten und Menschenfreunde nur das Beste wollen, daran durften aus Erfahrung viele zweifeln. Zur Demokratie gehörte immer wieder Gewalt, ob 1793 beim Vernichtungskrieg der Jakobiner gegen die katholischen Royalisten in der Vendée oder der Amerikaner gegen die Indianer im vergangenen Jahrhundert. Bei beiden handelte es sich gewiß nicht um Faschisten oder Präfaschisten, sondern um wehrhafte Demokraten und Patrioten. Daniel Hedinger beschäftigt sich zu sehr mit Abstraktionen und theoretischen Modellen, statt mit der konkreten Wirklichkeit, um die es dem Historiker gehen sollte.

Daniel Hedinger: Die Achse. Berlin – Rom – Tokio 1919–1946. Verlag C.H. Beck, München 2021, gebunden, 534 Seiten, Abbildungen, 29,95 Euro