© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/21 / 22. Oktober 2021

Im Krieg gegen das eigene Volk
Geschützt vom „Schild und Schwert“ der Altparteien, ersetzt die politische Klasse die deutsche Kulturnation durch ein buntes Konglomerat von Gattungsangehörigen
Wolfgang Müller

Um die Grundzüge bundesdeutscher Politik seit der Wiedervereinigung zu verstehen, genügten bisher drei Bücher: Robert Hepps „Die Endlösung der Deutschen Frage“ (1988), Rolf Peter Sieferles „Epochenwechsel“ (1994, Neuauflage 2017) und Thilo Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“ (2010). Mit Martin Wageners „Kulturkampf um das Volk“ wird diese Reihe hochkarätiger Gegenwartsdiagnosen, die wissenschaftlich fundierte Gesellschaftsanalyse und Zeitkritik kombinieren, nun um eine vierte Standortbestimmung erweitert, die gleichfalls für jeden unentbehrlich ist, der dem Imperativ „Erkenne die Lage!“ (Gottfried Benn) gehorchen will. 

Das Werk des Soziologen Hepp konzentrierte sich darauf, die bis heute fortwirkende fatale Weichenstellung, auf den Geburtenschwund der Bonner Republik mit dem Import von „Gastarbeitern“ zu reagieren, aus dem Ursachengeflecht von US-Hörigkeit, Umerziehung, Wohlstandsmaterialismus und gebrochenem Selbstbehauptungswillen abzuleiten. Der Universalhistoriker Sieferle durchleuchtete, wie die demographische Malaise unter den Bedingungen der Globalisierung das „soziale Experiment“ provozierte, eine relativ homogene in eine multikulturelle Gesellschaft zu verwandeln, während der Volkswirt Sarrazin sich vornehmlich der muslimischen Massenzuwanderung und deren verheerenden sozioökonomischen Konsequenzen widmete. 

Aber nur Hepp antizipierte schon, was Wagener jetzt in den Mittelpunkt seines mit 2.000 Fußnoten gespickten Kompendiums zum Kulturkampf um nationale Identität rückt: „Die innerstaatliche Feinderklärung der liberalen Eliten“, die das deutsche Volk nicht mehr als „maßgebende politische Einheit“ betrachten. Die stattdessen Deutsche, die „die ethnische und kulturelle Identität verteidigen, zu Verfassungsfeinden erklären, sofern sie die Auflösung des deutschen Volkes nicht für ein Gebot der Verfassung halten“. 

Das klingt, als hätte Hepp vorausgesehen, daß das Bundesverfassungsgericht 2017 den ethnisch-kulturellen Volksbegriff ins „Wörterbuch des Unmenschen“ verbannen würde. Tatsächlich ist es, so lautet Wageners hier anknüpfende, in dieser Schärfe noch nie entfaltete zentrale These, die seit 2015 immer aggressiver formulierte bösartige Absicht der politisch-medialen Kaste, die deutsche Kulturnation durch eine multiethnische Willensnation zu ersetzen. Deren Konturen als „Zwangsnation“ sich bereits abzeichnen, während eine groteske „Elite“ Hymnen auf das wundervolle „Integrationsland“ (Angela Merkel) singt, dessen, wie die erste Garnitur der auf Jürgen Habermas vereidigten Staatsrechtslehrer unbelehrbar glaubt, „Zusammengehörigkeit“ sich allein „durch Rechtsregeln“ (Oliver Lepsius) herstelle. 

Nicht die traditionellen Bindekräfte des Nationalstaats, sondern das „Verfassungspatriotismus“ generierende demokratische Procedere garantiere ein „vernünftiges normatives Einverständnis auch unter Fremden“ (Habermas) in einer „Willensnation“. Noch 1994 war dagegen ein Wolfgang Schäuble davon überzeugt, daß ein abstrakter Verfassungstext keine emotionalen Bindungen stiftet, kein Ethos formt, wie es eine nationale „Schicksalsgemeinschaft zur Selbstbehauptung und zur Verteidigung ihrer Freiheit“ benötige. So wie sozialistische Willensnationen, zuletzt die DDR, die Sowjetunion und Jugoslawien, werde daher auch die kapitalistische Willensnation BRD „scheitern“, vermutlich, indem sie im Bürgerkrieg untergehe.         

Als Managerin der Abwicklung der Kulturnation war die noch amtierende Bundeskanzlerin eine Spitzenbesetzung und der personifizierte Vorschein des künftigen Konglomerats bloßer Gattungsangehöriger. Eine in der DDR sozialisierte Internationalistin, der Idealtyp einer Retortenfrau ohne Eigenschaften, ohne Verankerung in deutscher Kultur und Geschichte, mit der deutschen Sprache erfolglos ringend, eine Fremde im eigenen Land, die prädestinierte „Kanzlerin der anderen“, so wie Wagener dieser „großen Katastrophengestalt“ (Sieferle) in einem brillanten Porträt Relief gibt.      

Dem Verfassungsschutz (VS) als „Schild und Schwert“ des Altparteienkartells fällt in diesem Drama die von Wagener mit mustergültiger Akribie sezierte Rolle zu, die AfD – einzig ernstzunehmende Opposition gegen den permanenten Staatsstreich von oben – als „rechtsextrem“ zu brandmarken und zu „neutralisieren“. Doch die Waffe sei stumpf, weil Drohungen des VS keine „rechtliche Substanz“ hätten. Es gebe keine realistische Chance, die Partei verbieten zu lassen. Der VS gleiche insofern selbst unter der schneidigen Führung des CDU-Parteisoldaten Thomas Haldenwang einem Papiertiger.

Erstaunlicherweise, trotz nahezu totalitärer „Diskurshegemonie“ des politisch-medialen Komplexes, signalisieren Meinungsumfragen, daß sich die „schweigende Mehrheit“ beharrlich gegen ihr zugemutete Multikulti-Segnungen sperrt. So lehnen regelmäßig fast zwei Drittel der Befragten weitere nichteuropäische Zuwanderung ab. Ebenso stabil bei sechzig Prozent liegt die Mehrheit jener Bundesbürger, die den Islam keineswegs als „Religion des Friedens“ wahrnimmt, sondern als Gefahr für das demokratische Wertfundament. 

Niemand, der miterlebe, wie der staatlich organisierte Fremdenzustrom sein vertrautes Lebensumfeld umpflügt, der registriere, daß der Anteil von „Menschen mit Migrationshintergrund“ in München bei 45,7 oder in Offenbach gar bei 63,9 Prozent liege, lasse sich darüber mehr belügen. „In deutschen Städten sieht die Mehrheitsgesellschaft ihrem Ende entgegen“, zitiert Wagener die NZZ vom 9. Juli 2019. Angesichts von derzeit etwa 2.500 Moscheen hierzulande sei die Wahrscheinlichkeit daher hoch, daß das schlimmste Szenario einer Modellierung der Bevölkerungsentwicklung bis 2050 Wirklichkeit werde: 17,5 Millionen Muslime stünden dann 62,7 Millionen Nicht-Muslimen mit und ohne Migrationshintergrund gegenüber. Von da ist es nicht mehr weit bis zu den Deutschen als „Reliktbevölkerung“.  

Die Masse des Wahlvolks hegt also keine Illusionen über die Folgen einer Politik, die sie existentiell am härtesten treffen wird. Trotzdem, so wundert sich Wagener, rege sich kaum Unmut, geschweige denn lauter Protest gegen die „Durchsetzung der neuen Nation“. Warum votieren Menschen gegen ihre ureigenen Interessen, warum entfallen, wie bei der jüngsten Bundestagswahl, 90 Prozent der Stimmen auf Parteien, die „Deutschland abschaffen“ wollen? Um dieses Rätsel zu lösen, stützt Wagener sich implizit auf Herbert Marcuse („Der eindimensionale Mensch“, 1967): Mit „Brot und Spielen“ lasse sich, solange sie finanzierbar sind, jedes keimende Bewußtsein der Knechtschaft und jeder „systemüberwindende Impetus“ ersticken.

Martin Wagener: Kulturkampf um das Volk. Der Verfassungsschutz und die nationale Identität der Deutschen. Olzog  Verlag, Reinbek 2021, gebunden, 512 Seiten, 26 Euro