© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/21 / 22. Oktober 2021

Die Mission ist unklar
Peter-André Alt, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, stellt kritische Fragen zu Verirrungen im deutschen Universitätswesen zwanzig Jahre nach der Bologna-Reform
Sandro Serafin

Wer heute von der Schule an die Universität wechselt, wird selten eine Vorstellung von der historisch gewachsenen Eigenheit dieser Institution haben. Ein Großteil der Studenten begreift die Uni fatalerweise als einfache Fortsetzung der Schule und sieht sie vor allem mit Blick auf eine spätere berufliche Laufbahn. Das System der Bologna-Reform bestärkt dieses Denken noch: Stundenpläne, Ankreuz-Klausuren, Anwesenheitspflichten, „Hausaufgaben“. Dabei sollte die Uni Humboldtscher Prägung doch eigentlich etwas ganz anderes sein: ein Ort des Nachdenkens und der Persönlichkeitsbildung, nicht der stumpfen Pflicht, gar des Auswendiglernens.

Doch nicht nur unter Studenten kommt die Reflexion über das Wesen der Institution Uni zu kurz. Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Peter-André Alt, konstatiert eine grundsätzliche „Unklarheit von Begriff und Mission der Universität im 21. Jahrhundert“. Die Universität habe kein klares Bild davon, „was sie sein will und soll“. Mit seinem im September erschienenen Buch „Exzellent!? Zur Lage der deutschen Universität“ trägt der Literaturhistoriker nun dazu bei, ein solches Bild auszuformen. Alt hat die gut 260 Seiten mit der Erfahrung geschrieben, die er „in einem Vierteljahrhundert verantwortlicher Mitgestaltung des Universitätssystems“ erworben hat. Dabei geht es ihm um das System als ganzes: um Forschung ebenso wie um Lehre. Der Autor bleibt nicht bei einer – historisch fundierten – Bestandsaufnahme des Gegenwärtigen stehen, sondern liefert auch Verbesserungsvorschläge und Perspektiven.

Alt ist sichtlich um ein differenziertes Bild bemüht, betont gleich zu Beginn eine „Grundhaltung des Optimismus“. Das Gefühl, schlechter zu sein als andere, gehöre „zu den eigentümlichen Aspekten des universitären Selbstbildes, das hierzulande gepflegt wird“, meint er. Ausdrücklich warnt der Autor vor einem „nostalgischen Rückblick in eine letzthin nur verklärte Vergangenheit“. Die Freiheit im universitären System vergangener Zeiten etwa, der die Verschulung der Gegenwart gegenübersteht, sei mit Gleichgültigkeit und Überforderung einhergegangen. Insgesamt stehe der universitäre Betrieb den Idealen eines Humboldt heute immer noch näher, als seinen Akteuren bisweilen bewußt sei.

Der kritische Blick kommt im Buch dennoch nicht zu kurz. Immer wieder deutlich wird etwa ein Unbehagen mit der Tendenz der Quantifizierung im „neoliberalen“ System: Forschung richte sich nach dem, wofür Geld zur Verfügung gestellt wird, so entstehe ein „Mainstream der Themen und Methoden“ sowie „Konformitätsdruck“. Quantifizierung bezieht sich aber auch auf die starke gestiegene Zahl an Studenten, die Alt zumindest implizit kritisiert. So plädiert er etwa richtigerweise für eine Stärkung der Ausbildungen. Viel deutlichere Worte findet er zur hohen Zahl an Promovierenden: „Wofür benötigen wir 174.000 Doktoranden?“

Die großen Debatten um „Safe Spaces“, „Triggerwarnungen“ und die Freiheit der Lehre, die das universitäre System durch die linke Identitätspolitik ereilen, spielen derweil nur eine untergeordnete Rolle. Dies wird deren Bedeutung für die weitere Entwicklung des universitären Systems nicht ganz gerecht. Das Unbehagen des Autors an den genannten Trends ist gleichwohl deutlich zu spüren: „Die neue Gegenaufklärung der mißverstandenen Political Correctness schafft an Hochschulen eine fundamentalistische Diktatur der Meinungen, wenn ihr nicht die Stirn geboten wird“, schreibt er etwa. Andernorts formuliert er: „Die simple Opposition zwischen Richtigem und Falschem, Wahrheit und Wahrheitsfeinden verkürzt die gegebene Lage.“ Wahre Sätze, die aber leider nicht mit konkreten Beispielen untermalt werden.

Alts Ausführungen mögen bisweilen sehr technisch daherkommen. An der einen oder anderen Stelle beschleicht den Leser gar das Gefühl, ein Buch ausschließlich für universitäre Führungskräfte in der Hand zu halten. Gleichwohl sei das Buch jedem ans Herz gelegt, der sich im Rahmen des universitären Systems bewegt und über Sinn, Zweck und Perspektiven dieser Institution reflektieren will.

Peter-André Alt: Exzellent!? Zur Lage der deutschen Universität.  Verlag C.H. Beck, München 2021, broschiert, 297 Seiten, 26 Euro