© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/21 / 22. Oktober 2021

Die Unbotmäßigen züchtigen
Die Politikwissenschaftler Claus Leggewie und Ireneusz Karolewski fordern eine härtere Gangart der EU gegen die Visegrád-Staaten und deren Beharren auf staatliche und nationale Souveränität
Paul Leonhard

Die Slowakei ist ein korporatistischer Mafiastaat, Tschechien eine pseudoliberale Oligarchie, Ungarn ein chauvinistischer Einparteienstaat und Polen ein klerikaler Neo-Bolschewismus – und allesamt sind eine Bedrohung für das „demokratische“ Europa. Diese Ansicht vertreten Claus Leggewie und Ireneusz Pawel Karolewski in ihrem Buch „Die Visegrád-Connection“.

Vier Länder, die die EU nicht einfach verlassen wollen, sondern sie als Staatenbund (und nicht als Bundesstaat) gestalten wollen, die nationale Souveränität über eine transnationale Vergemeinschaftung stellen. Da aber „wedelt der Schwanz mit dem Hund“, so die Autoren, die auf Seite 13 betonen, selbst „fest verankert im westlichen Universalismus“ zu sein. Ihre These lautet: Wenn sich die EU der schleichenden Transformation nicht widersetzt, wird die Visegrád-Gruppe der Katalysator ihrer mittelfristigen Erosion und der Zerstörung der europäischen Idee sein. Eine Idee wohlgemerkt, die in ihrer Brüsseler Ausformung die einer Elite ist und von der Mehrheit auch der Westeuropäer abgelehnt wird, was in den wenigen Ländern deutlich wird, in denen noch Volksabstimmungen stattfinden.

Während Polen, Ungarn, Tschechen und Slowaken also auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker pochen und ihre Regierungen deswegen mit Mehrheiten ausstatten, sehen Leggewie, Professor an der Universität Gießen, und Karolewski, Professor für Demokratieforschung an der Uni Leipzig, darin eine „rasante Entdemokratisierung“, die „keine innenpolitische Angelegenheit der vier Länder“ sei. Wenn diese Länder die EU zu einem Wirtschaftsraum unabhängiger Nationalstaaten stutzen und für einen dominant weiß-christlichen Kulturraum eintreten, dann müsse der Westen sanktionieren.

Dabei sind die Visegrád-Staaten einst mit fliegenden Fahnen in die EU geeilt. Als sich die Regierungschefs Lech Walesa (Polen), Václav Havel (CSR) und József Antall (Ungarn) Anfang 1991 im ungarischen Visegrád trafen, um sich über den Weg in EU und Nato abzustimmen, symbolisierte der Königsberg am Donauknie die im Westen weitgehend vergessene Bedeutung jener drei Reiche für die europäische Geschichte.

Alle vier Nationen wollten wieder in die Gemeinschaft der Völker zurückkehren, aber nicht als stimmloser Vasall, sondern mit ihren Erfahrungen des letztlich erfolgreichen Widerstands gegen Diktaturen. Mit der Bildung der Slowakei wurden daraus die „Visegrád vier“, kurz „V4“ genannt. Aber das romantisierte Europa souveräner Nationalstaaten war da schon in einer postnationalen Ordnung aufgegangen und der Preis für den Beitritt die Aufgabe der gerade erkämpften nationalen Souveränität.

Immerhin räumen die Autoren ein, daß alle vier Länder „nach einer Minimaldefinition“ Demokratien sind, in denen mehrfach friedliche Machtwechsel nach Wahlen stattfanden. Andererseits blühe die Korruption, werde die unabhängige Presse und Kunst durch Zensur und Übernahmen ausgeschaltet, die Wissenschaft diskreditiert und unliebsame Richter und Staatsanwälte entlassen. Wahlergebnisse schmähen Leggewie und Karolewski als „plebizitäre Akklamationen“ und ihre Folgen als eine „Tyrannei der Mehrheit“. Seitenweise listen die Autoren die Proteste gegen die Regierungen in Budapest, Warschau, Preßburg und Prag auf, um enttäuscht zu resümieren, daß die jeweilige außerparlamentarische Opposition kaum Rückhalt in der Bevölkerung genießt, so daß ein Machtwechsel bei anstehenden Wahlen aussichtslos erscheint.

Was also tun? Die EU muß handeln, fordern die Autoren, die den vier Ländern eine „rasante Entdemokratisierung“ bescheinigen, ohne dafür Beweise zu liefern. Dafür gibt es eine Handlungsanleitung zur Destabilisierung. Besonders in Ungarn müsse eine breite Anti-Koalition geschmiedet werden. Vorbild ist die erfolgreiche Kampagne gegen Vladimir Meciar in der Slowakei, initiiert durch ausländische Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen. „Die demokratischen Familien werden ihr Know-how, ihre Logistik und ihre moralische Solidarität in die Waagschale werfen müssen“, schreiben die Autoren: „So sehr Regierungen äußere Einmischung als Angriff auf ihre jeweilige Nation bezeichnen können, so notwendig bleibt sie.“

Claus Leggewie, Ireneusz Pawel Karolewski: Die Visegrád-Connection. Eine Herausforderung für Eu-ropa. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2021, broschiert, 176, 20 Euro