© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/21 / 22. Oktober 2021

Unerbittliche Lageanalyse
Der Journalist Emran Feroz analysiert den Afghanistankrieg
Matthias Bäkermann

Als sein Buch in den Druck ging, standen die Taliban am Hindukusch kurz vor der Machtübernahme in Kabul, die der Journalist Emran Feroz bereits voraussagt. Da jetzt das Unvermeidliche eingetreten ist, verschafft die anstehende Herrschaft unter der Knute der Scharia der afghanischen Bevölkerung vielleicht eine Atempause nach zwanzig Jahren Krieg – ähnlich wie die erste Herrschaft der Islamisten nach Sowjetbesatzung und Bürgerkrieg 1996 für eine kurze Phase der Friedhofsruhe sorgte.

Der 1991 in Innsbruck geborene Feroz hat afghanische Wurzeln, er ist sprachgewandt, was ihm den Zugang zu wichtigen afghanischen Politikern wie Hamid Karzai oder Talibanführern erleichterte, und er hat Empathie für Land und Leute. Der Titel „längster Krieg“ hebt auf die Rolle der US-Amerikaner ab, deren zwanzigjähriges militärisches Afghanistan-Abenteuer bis zum überstürzten Abzug im August 2021 tatsächlich andere Kriegseinsätze (Weltkriege, Korea, Vietnam oder Irak) zeitlich weit übertraf. Feroz geht aber auch auf den viel längeren Krieg für die Afghanen ein, der das Land seit 1979 unter sowjetischer Besatzung und später unter brutalen Warlords wie Gulbuddin Hekmatyar oder Abdul Raschid Dostum leiden ließ. 

Die US-Amerikaner, die im Herbst 2001 die Taliban verjagten, obwohl diese „mit den Anschlägen vom 11. September nichts zu tun hatten“, wie Feroz betont, setzten diesen Krieg gegen die Bevölkerung mit vielen Kriegsverbrechen und Massakern einfach nur fort. In dieser Lagebeurteilung ist Feroz unerbittlich, seine Sprache ist ohnehin oft drastisch. Als rühriger Anti-Drohnenaktivist sind ihm ebendiese Einsätze der USA verhaßt. Genauso scharf klagt er die Bundeswehr an, die beim Luftangriff auf die von den Taliban gekaperten Tanklastzüge bei Kunduz 2009 ein „Kriegsverbrechen erster Ordnung“ begangen habe und das in Deutschland geprägte Bild eines „sauberen Krieges“ endgültig erledigt habe. Feroz‘ Parteinahme berücksichtigt in vielen Fällen aber kaum, daß der von den Taliban gegen die alliierte Koalition gerichtete Krieg bewußt asymmetrisch, also „unsauber“ geführt wurde. „Kollateralschäden“ wie der Taxifahrer, der mit den drei Terrormilizen als Fahrgäste von einer Drohne zerfetzt wurde, oder dutzende Menschen, die beim Luftangriff  auf die als „rollende Bomben“ vorgesehenen Benzinlaster ums Leben kamen, werden von ihnen bewußt in Kauf genommen oder sogar beabsichtigt.

Feroz’ interessante und kundige Analyse, die prägnant die „sechs großen Vergehen des ‘war on terror’ in Afghanistan“ aufführt und damit die Gründe seines Scheiterns benennt, hätte statt der allzu scharfzüngigen Tonlage mit abgewogenen Zwischentönen sicher nicht an Glaubwürdigkeit eingebüßt.

Emran Feroz: Der längste Krieg. 20 Jahre War on Terror. Westend Verlag, Frankfurt am Main 2021, broschiert, 223 Seiten, 18 Euro