© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/21 / 29. Oktober 2021

Mit langem Atem
AfD: Ende Oktober wird die „Arbeitsgruppe Verfassungsschutz“ aufgelöst – warum?
Christian Vollradt

Als sich die Hinweise verdichteten, die AfD oder zumindest Teile der Partei würden ins Visier des Verfassungsschutzes geraten, rief der Bundesvorstand im September 2018 eine eigene „Arbeitsgruppe Verfassungsschutz“ (AG VS) ins Leben. Ihr Ziel: eine drohende Beobachtung der Gesamtpartei durch den Verfassungsschutz zu verhindern. Dabei verfolgte man eine doppelte Strategie. Erstens die einer juristischen Gegenwehr. Zweiter Bestandteil: dem Verfassungsschutz keine Anhaltspunkte zu liefern. Die Arbeitsgruppe sollte zu diesem Zweck die Funktionäre und Mitglieder schulen und sensibilisieren. Grundlage dafür war ein Gutachten des Freiburger Staatsrechtlers Dietrich Murswiek. Dessen dringender Rat: Verfassungsfeindliche oder verfassungsschutzrelevante Äußerungen Einzelner müßten von der Partei umgehend zurückgewiesen, widerrufen und bei Bedarf mit Ordnungsverfahren sanktioniert werden. Um so unmißverständlich klarzumachen, daß die AfD auf dem Boden des Grundgesetzes steht. Außerdem sollten Aussagen vermieden werden, die zwar nur in fragwürdiger Weise als verfassungsfeindlich eingeschätzt werden können, aber dennoch für die Partei „erhebliche Nachteile“ haben könnten.

„Lust an der Provokation gehört zur DNA der Partei“

Nicht überall in der Partei stieß der Appell, vorsorglich auf allzu heftige Tabubrüche oder verbale Provokationen zu verzichten, auf fruchtbaren Boden. Prominentester Kritiker war Thüringens Parteichef Björn Höcke, der von „politischer Bettnässerei“ sprach. Um so erstaunlicher ist, daß am 31. Oktober die parteiinterne Arbeitsgruppe nun ganz offiziell aufgelöst wird. Warum das so ist und wie die Mitglieder ihre Arbeit bilanzieren, dazu fragte die JUNGE FREIHEIT bei Alexander Wolf nach. Der Rechtsanwalt und Abgeordnete der Hamburger Bürgerschaft ist Beisitzer im AfD-Bundesvorstand und dort zuständig für die AG Verfassungsschutz: 

Die 2018 eingerichtete Arbeitsgruppe Verfassungsschutz wird Ende der Woche aufgelöst. Hat sie sich nicht bewährt, ist die Aufgabe erledigt – oder warum hat der Bundesvorstand so entschieden?

Wolf: Ein ganz wesentliches Ziel der Arbeitsgruppe war es, daß die AfD ohne die Belastung einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz ihren Bundestagswahlkampf führen konnte. Dieses Ziel haben wir erreicht. Das ist für mich ein großer Erfolg, den viele nicht für möglich hielten. Oft mußte ich hören: „Die Beobachtung kommt sowieso.“ In einem umfangreichen Schriftsatz von rund 1.400 Seiten samt 29 Aktenordnern Anlagen haben wir gezeigt, daß das sogenannte „Gutachten“ des Bundesamtes für Verfassungsschutz an unfaßbar vielen Stellen schwere fachliche, methodische und rechtliche Fehler aufweist. Darum hat das Verwaltungsgericht Köln entschieden, daß der Verfassungsschutz die AfD bis zur Entscheidung im Hauptverfahren weder beobachten noch überprüfen darf. Auch wenn wir weiter gegen unfaire Attacken von Altparteien und Behörden gewappnet bleiben müssen, haben wir die in uns gesetzten Erwartungen erfüllt. Darum können wir nun unsere Tätigkeit beenden, auch um dem neuen Bundesvorstand, der im Dezember gewählt wird, nicht vorzugreifen.

Im kommenden Frühjahr wird mit dem Urteil gerechnet, ob der Verfassungsschutz die Gesamtpartei beobachten darf. Wird sich dann erst erweisen, ob die Arbeitsgruppe erfolgreich war oder nicht?

Wolf: Wir können auf einen großen Erfolg vor dem Verwaltungsgericht Köln hoffen. Natürlich dürfen wir aber auch unsere eigene Verantwortung nicht vergessen. Hier ist die gesamte Partei in der Pflicht! Denn die Auseinandersetzung mit dem Verfassungsschutz ist ein Marathon. Wir benötigen weiter einen langen Atem. Aufgabe eines Inlandsgeheimdiensts ist es, terroristische Angriffe und Umsturzversuche aufzuklären und zu verhindern. So ist es in allen anderen Demokratien. Außer in Deutschland: Hier darf eine Behörde, die Politikern der Regierungsparteien untersteht, die Opposition überwachen. Und zwar aus politischen Gründen, wie Hans-Georg Maaßen bestätigt hat. Der Verfassungsschutzbericht ist der Pranger von heute. Das dürfen wir uns nicht gefallen lassen und müssen darum den Kampf gegen die Stigmatisierung der AfD mit Nachdruck weiterführen.

In den Empfehlungen der Arbeitsgruppe heißt es unter anderem, es sei zur Vermeidung einer Beobachtung sehr wichtig, auch solche Äußerungen unbedingt zu unterlassen, die der Verfassungsschutz aus fragwürdigen Gründen als Anhaltspunkt für eine verfassungsfeindliche Bestrebung wertet. Also Begriffe wie „Systemparteien“ oder „Umvolkung“. Wird diese Handlungsempfehlung in der Partei wirklich umgesetzt?

Wolf: Zum allergrößten Teil ja. Es ist Teil unserer Daueraufgabe. Dazu hat die Arbeitsgruppe bereits viele Schulungen durchgeführt. Die müssen weitergehen. Nur durch eine solche Professionalisierung wird aus dem „gärigen Haufen“ eine langfristige Erfolgsgeschichte werden. Wir sind auf einem guten Weg, können aber noch viel von der FPÖ lernen, die uns um viele Jahre voraus ist. Dort gilt: Wer etwa Vergleiche mit dem Nationalsozialismus zieht, schießt sich selbst ins Aus. Und wer sich einmal derartig disqualifiziert hat, kommt für weitere Führungsaufgaben in einer demokratischen Rechtspartei nicht mehr in Frage.

Von außen betrachtet, hat man den Eindruck: Da ist zum einen ein Verfassungsschutz, der – gelinde gesagt – die Meßlatte, ob etwas verfassungsfeindlich ist, sehr niedrig ansetzt. Und zum anderen gibt es in der AfD nicht wenige, die eine ausgeprägte Lust an der verbalen Provokation und Zuspitzung auszeichnet. Sitzen Sie da nicht irgendwie zwischen den Stühlen?

Wolf: Sicher ist das keine einfache Aufgabe. Die Lust an der Provokation gehört zur DNA der AfD. Und das macht ja auch Spaß. Zugleich ist das eine ständige Gratwanderung. Auch weil der Verfassungsschutz oft falsche politische Bewertungen vornimmt. Natürlich übernehmen wir diese Wertungen nicht unkritisch, sondern weisen auf ihren Mißbrauch hin. Zugleich gilt aber: Wir dürfen es denen nicht zu einfach machen; so wenn einzelne AfD-Funktionäre unnötig überzogene Äußerungen tätigen. Man fragt sich manchmal, ob einzelne der AfD bewußt schaden wollen, wenn beim VS „die Korken knallen“. Das ist keine Frage von „nationalkonservativ“ oder „gemäßigt“, sondern von intelligent oder unüberlegt.

Die Sorge davor, vom Verfassungsschutz beobachtet und dadurch im politischen Wettbewerb stigmatisiert zu werden, scheint vor allem die westdeutschen Verbände zu betreffen. Ist die nicht vielleicht doch übertrieben? Denn größere Wahlerfolge verbucht die AfD dort, wo sie, wie etwa in Thüringen, bereits als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft wird …

Wolf: Das liegt nicht an einem anderen Kurs der AfD im Osten, sondern an der anderen Sozialisation der ehemaligen DDR-Bürger. Ich weiß, wovon ich rede, denn ich habe die ersten zwölf Jahre meines Lebens in der DDR verbracht. Den Ostdeutschen kann man kein X für ein U vormachen. Die nehmen nicht alles für bare Münze, was im Staatsfunk verbreitet wird. Das haben sie den Westdeutschen voraus. Dies ist wesentlich für die Wahlerfolge im Osten. Hinzu kommt: Ungeschickte Äußerungen sind kein Ostproblem. So mußte sich die AG VS auch mit vielen unklugen Aussagen westdeutscher Funktionäre beschäftigen. Klar ist aber auch: Mit einem rücksichtslos-überdrehten Kurs würde die AfD massiv Wähler verlieren. Nicht nur, aber vor allem im Westen. Dort werden aber nun einmal Wahlen gewonnen, denn nur ein Fünftel der Wähler lebt in der ehemaligen DDR. Zur Zeit kann die AfD ihr Potential nicht ausschöpfen, weil sie als zu extrem wahrgenommen wird. Der Weg zur Volkspartei, zum Wahlerfolg in Gesamtdeutschland, führt nur über ein klar bürgerlich-konservatives Profil.






Dr. Alexander Wolf, geboren 1967 in Leipzig, ist Rechtsanwalt und Abgeordneter der Hamburgischen Bürgerschaft. Seit 2019 ist er Mitglied im Bundesvorstand der AfD. 

Foto: Wahlkampfstand der AfD, umringt von Anhängern und Gegnern: „Gegen Stigmatisierung“