© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/21 / 29. Oktober 2021

Booster für Konzerngewinne
Die staatlich garantierten Corona-Profite der bevorzugten Impfstoffhersteller: Intransparente Verträge mit den Abnehmerstaaten, geheime SMS, zahnlose Parlamentarier und eine ahnungslose Öffentlichkeit / Steuergelder machten Vakzin-Entwicklung erst möglich
Björn Harms / Mathias Pellack

Über eine mangelnde Auftragslage können die Impfstoffhersteller gegen die Covid-Erkrankung ganz sicher nicht klagen. Mit der nun einsetzenden Welle der Drittimpfungen winkt den Pharmakonzernen eine neue, lukrative Milliardenquelle. Neben den Vakzinen der Hersteller Biontech und Pfizer hat die US-Arzneimittelbehörde FDA in der vergangenen Woche auch die Impfstoffe von Moderna und Johnson & Johnson für sogenannte Auffrischungsimpfungen gegen Covid-19 zugelassen. Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) mit Sitz in Amsterdam gab Anfang Oktober grünes Licht für Booster-Impfungen mit Biontech/Pfizer. Für den Moderna-Impfstoff ist diese Zulassung beantragt und soll ebenfalls noch im Oktober 2021 erfolgen.

Wenig verwunderlich: Die Hersteller selbst halten eine Booster-Impfung für dringend erforderlich. Moderna-Firmenchef Stéphane Bancel erklärte am 16. September, daß die Auswirkungen einer nachlassenden Immunität „die Notwendigkeit einer Auffrischungsimpfung zur Aufrechterhaltung eines hohen Schutzniveaus“ untermauerten. Pfizer-Chef Albert Bourla prophezeit, daß genau wie bei der herkömmlichen Grippe die Impfung gegen Corona nach mehreren Monaten immer wieder aufgefrischt werden müsse. Er kann daher mit stetigen Erlösen rechnen. Schon jetzt fahren die Pharmakonzerne massive Gewinne ein (siehe Grafik), vor allem dank der Produktion von Impfstoffen gegen das neuartige Coronavirus. Das wirft die Frage auf: Welche vertraglichen Bedingungen akzeptierten die Staaten beziehungsweise die EU eigentlich bei der Bestellung der Impfdosen?

Am 16. Juni 2020 hatte die EU-Kommission öffentlich ihre Herangehensweise für die Covid-Impfstoffe bekanntgegeben. „Die Entwicklung von Impfstoffen dauert in der Regel über zehn Jahre“, hieß es in einer ersten Pressemitteilung. Das Vakzin gegen Covid-19 sei jedoch „dringender erforderlich“. Die Strategie beinhaltete deshalb zwei Säulen: Zum einen sollte die „ausreichende Produktion von Impfstoffen in der EU“ durch „Abnahmegarantien für Impfstoffhersteller“ sichergestellt werden. Im Gegenzug verlangte die Kommission, „innerhalb eines bestimmten Zeitraums und zu einem bestimmten Preis eine bestimmte Anzahl von Impfdosen kaufen zu können“. Als zweite Säule beschloß man eine „Anpassung des EU-Rechtsrahmens“, um flexibler agieren zu können und die „Entwicklung, Zulassung und Verfügbarkeit von Impfstoffen zu beschleunigen“.

Pharmariesen bekamen Milliarden- Unterstützung aus Steuergeldern

Wichtig war der EU-Kommission ein gemeinsames Vorgehen. Die Verträge mit den Unternehmen sollten im Namen aller Mitgliedstaaten geschlossen werden, wofür das Europäische Parlament und der Europäische Rat 2,7 Milliarden Euro für sogenannte „Advanced Purchase Agreements“ (deutsch: Vorgezogene Kaufverträge; APA) bereitstellten.

Doch was die Kommission da konkret im Namen der EU-Bürger vorab zahlte, durften diese nicht erfahren. Dank spezieller Klauseln in den Verträgen blieben die Konditionen nur einem kleinen elitären Kreis vorbehalten. Erst auf massiven öffentlichen Druck hin konnten wenigstens die Parlamentarier der EU-Mitgliedsländer etwa ein Drittel der Vertragsdokumente einsehen. In den verbleibenden Teilen wurde geschwärzt. Diese Praxis sichert den Pharmariesen beste Verhandlungspositionen mit den einzelnen Staaten weltweit. Jeder Staat mußte fürchten, daß ein anderer schneller sein könnte, mehr bezahlt und deshalb früher beliefert wird.

Die Pharmakonzerne machten für die weit über den Herstellungskosten liegenden Preise die kostspielige Forschung, Entwicklung und Zulassung geltend. Diese Kosten sind aber ebenfalls nicht einsehbar und werden auch nicht nach außen kommuniziert. Somit ist es für die EU oder auch einzelne Staaten nur schwer möglich, einen angemessenen Preis zu bestimmen.

In der EU-Erklärung vom Juni 2020 hieß es weiter: Sobald ein Vakzin zugelassen werde, könnten die EU-Länder direkt beim Hersteller bestellen. Bewerben konnten sich alle Unternehmen, die bereits damals klinische Prüfungen durchführten. Die Dinge nahmen ihren Lauf. Am 21. Dezember 2020 erteilte die EU eine bedingte Zulassung für den von Biontech entwickelten und von Pfizer vertriebenen Impfstoff, später folgten Moderna, Astrazeneca und Johnson & Johnson. Weltweit schlossen auch andere Staaten ähnliche Verträge mit den Pharmakonzernen ab.

Doch die Intransparenz setzt sich bis heute fort. Im April 2021 war bekannt geworden, wie Pfizer zum größten Impfstoff-Lieferanten der EU wurde: per SMS. Der Pfizer-Chef und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schrieben sich regelmäßig Kurznachrichten, als es auf den Abschluß des Deals hinauslief, und feilschten darin um Details. Die EU sicherte sich schließlich 1,8 Milliarden Dosen des Corona-Impfstoffs, den Pfizer gemeinsam mit Biontech herstellt. 900 Millionen Dosen sollen bis 2023 geliefert werden; dazu hielten die Vertragspartner eine Option auf weitere 900 Millionen fest. Was in den SMS kommuniziert wurde und welche Vertragsinhalte dabei genau geregelt wurden, blieb unklar.

Impfstoffgewinne von Moderna werden niedrig besteuert

Doch auch das EU-Parlament will offenbar von den genauen Details nichts wissen: In der vergangenen Woche stimmte es gegen eine Veröffentlichung der geheimen SMS-Verhandlungen. Von deutscher Seite votierten etwa Union, SPD, FDP und Freie Wähler gegen eine Publizierung; die AfD, die Mehrheit der Grünen und die Abgeordneten von LKR, Piratenpartei, ÖDP, Volt und Die Partei stimmten dafür.

Die Öffentlichkeit erfährt also wenig über die konkreten Inhalte. Und das, obwohl der Steuerzahler einen wichtigen Anteil daran hatte, daß die Vakzine schnell auf den Markt kamen. Schließlich hatten alle genannten Pharmariesen und Start-ups für die Entwicklung ihrer Covid-Impfstoffe finanzielle Unterstützung aus öffentlichen Quellen erhalten – die einen mehr, die anderen weniger. Wie hoch diese Zahlungen tatsächlich liegen, läßt sich schwer nachvollziehen. Eine umfassende Statistik gibt es nicht, nur Versuche, sich den Zahlen zu nähern. Gemäß einer Analyse der privaten Stiftung kENUP sind von Februar 2020 bis Januar 2021 weltweit mindestens 88,3 Milliarden Euro an öffentlichen Geldern in die Entwicklung der Impfstoffe geflossen. Weitere fünf Milliarden gingen in die Erforschung von Arzneimitteln. Die Daten zeigen auch, wer den Großteil der Zahlungen stemmte: 32 Prozent der Mittel stammen aus den USA, 24 Prozent aus der EU und knapp 13 Prozent von den Regierungen Japans und Südkoreas.

Die meisten Covid-Impfstoffe wären also ohne staatliche Mittel nicht oder nicht so schnell entwickelt worden. Auch die universitäre Vorarbeit fällt dabei mit ins Gewicht. Ein Beispiel ist der weltweit meistgenutzte und günstigste Impfstoff von Astrazeneca – oder besser gesagt aus der Universität Oxford. Der britisch-schwedische Konzern konnte sich die an dem staatlichen Institut entwickelten Patentrechte sichern und so die Impfung weltweit vertreiben. Auch bei Moderna ist der Anteil der öffentlichen Mittel besonders hoch. Die Entwicklung des Moderna-Vakzins wurde zum Großteil von amerikanischem Steuergeld finanziert. Bis Dezember 2020 erhielt das Unternehmen knapp 3,5 Milliarden Euro aus dem US-Gesundheitsministerium. Doch nicht nur bei der Entwicklung des Impfstoffs – auch wenn es um die Gewinne aus dem Projekt geht, scheint der Konzern erfindungsreich zu sein.

Aus einem durchgesickerten Vertrag zwischen Moderna und der Europäischen Kommission geht hervor, daß die Impfstoffgewinne des US-Unternehmens in der Schweiz abgerechnet werden. Hierfür hatte der junge Konzern, der jahrelang nur Verluste einfuhr, im Dezember 2020 einen Europasitz in Basel eröffnet. Dort liegt die Steuerquote deutlich niedriger als im Produktionsland USA. Darüber hinaus hält Moderna viele seiner Patente im US-Steuerparadies Delaware, wo Einkünfte aus Patenten von der Steuer befreit sind, was dem Unternehmen weitere Möglichkeiten zur Steuervermeidung bietet. Der Vertrag zwischen der EU und Moderna ist jedoch nicht der einzige Kontrakt, der in die Öffentlichkeit gelangte. Vor wenigen Wochen tauchte ein geheimnisvoller Whistleblower auf, der brisante Inhalte ins Netz stellte.

Was der Whistleblower über die Knebelverträge zwischen dem US-Pharmariesen Pfizer und den Abnahmestaaten herausfand und welche Profite die Hersteller der experimentellen Impfstoffe einfahren, lesen Sie nächste Woche in der JF-Ausgabe  45/21.