© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/21 / 29. Oktober 2021

Ein Bündnis für Europa
Vincenzo Sofo: Die Hochzeit mit Le Pen-Sproß Marion Maréchal eröffnet neue Möglichkeiten für eine EU-Rechte
Luca Steinmann

Von Kalabrien über Mailand und Paris ins Herz von Europa. So könnte man das Leben von Vincenzo Sofo beschreiben. Der italienische EU-Abgeordnete der rechten Partei Fratelli d’Italia macht sich derzeit nicht nur in seinem Heimatland, sondern auch in Brüssel einen Namen. Für einige Medien ist der 35 Jahre alte Mann seit langem „Monsieur Le Pen“, weil er mit Marion Maréchal-Le Pen liiert ist, dem Sproß einer der wohl bekanntesten Familie der französischen Rechten. Seit 2018 tritt die 31jährige aber nicht mehr mit dem Doppelnamen, sondern nur noch als Marion Maréchal auf die politische Bühne. Sie wird von vielen als künftige Chefin der transalpinen Konservativen und als mögliche Präsidentschaftskandidatin für die Parlamentswahlen im Jahr 2027 gesehen.

Die beiden gaben sich am 11. September in Paris das Ja-Wort. Unter den Gästen war auch Jean-Marie Le Pen, der ehemalige Vorsitzende des Front National (heute Rassemblement National). Den großen Tag seiner Enkelin ließ sich der Patriarch der französischen Rechten nicht entgehen. Tagelang berichteten französische und italienische Zeitschriften über die „rechte Hochzeit“ und konzentrierten sich dabei nicht auf die Besucher, sondern auf eine Person, die nicht anwesend war: Marine Le Pen hatte einen Wahltermin der Hochzeit ihrer Nichte Marion vorgezogen. 

Es wird gemunkelt, daß der Abwesenheit eine persönliche und politische Auseinandersetzung zwischen den beiden Frauen zugrunde liegt. Angeblich befürchtet die Politikerin des Rassemblement National, durch die zunehmende Popularität ihrer Nichte in den Schatten gestellt zu werden. 

Paar ist bestens mit europäischen Rechten vernetzt

Der Aufstieg Marions geht mit dem ihres neuen Mannes Hand in Hand. In den vergangenen Jahren waren die beiden bei zahlreichen europäischen Konservativen zu Gast: In Budapest empfing sie Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán; in Madrid trafen sie Santiago Abascal, den Vorsitzenden der rechten Partei Vox, und in Paris traten sie beim Parteitag der vereinigten rechten Parteien zusammen mit Eric Zemmour auf. Auch im tiefen Süden Italiens, wo Sofos Wurzeln liegen und wo er bei den Europawahlen 2019 ins EU-Parlament gewählt wurde, waren sie unterwegs.

Seine Eltern stammen aus Locride, einem Gebiet in der Provinz Reggio Calabria, das in der Öffentlichkeit für die starke Präsenz der Mafiaorganisation Ndrangheta bekannt ist. Sofo verweist oft auf seine Verbundenheit mit der Region, die er wegen ihrer Vorzüge und nicht wegen der Mafia bekannt machen will. Geboren und aufgewachsen ist der EU-Politiker aber in Mailand. Dort sammelte er auch seine ersten politischen Erfahrungen. Als Jugendlicher besuchte er rechtsradikale Gruppen, bis er Jugendleiter der „La Destra“ wurde, einer Partei, die 2007 als Abspaltung der Alleanza Nazionale des damaligen Präsidenten der Abgeordnetenkammer Gianfranco Fini hervorging. 

Ein entscheidender Moment für Sofo war die Begegnung mit dem Soziologen Fabrizio Fratus, der sein politischer Mentor wurde. Als langjähriger Aktivist der italienischen Rechten, zunächst in der Fronte della Gioventù, dann in der Fiamma Tricolore und in der Alleanza Nazionale, ist er Autor einer Reihe von Veröffentlichungen über den Mailänder und italienischen Neofaschismus, den er kritisiert und von dem er sich distanziert. Im Jahr 2010 traten Fratus und Sofo gemeinsam der Lega Nord bei und verbanden sich mit einem jungen, aufstrebenden Mailänder Politiker: Matteo Salvini. 

In dieser Zeit gründeten die beiden auch gemeinsam Il Talebano, eine Denkfabrik, deren Ziel es ist, rechte Parteien, insbesondere die Lega, mit Inhalten und Visionen zu versorgen. Der Name „Il Talebano“ (Der Taliban) geht auf den italienischen Schriftsteller Massimo Fini zurück, den Autor der Biographie von Mullah Omar, einem afghanischen Kämpfer. Diesen beschrieb Fini als jemanden, der sich weder der sowjetischen noch der amerikanischen Invasion gebeugt und es vorgezogen hatte, seine eigene Identität wiederzufinden, anstatt die der Besatzer anzunehmen. 

In jenen Jahren machte Sofo Salvini mit einer Reihe von Rechtsintellektuellen bekannt, so auch mit dem bereits erwähnten Fini, dem italienischen Schriftsteller Pietrangelo Buttafuoco und dem französischen Philosophen Alain de Benoist. Nach diesen Treffen begann die italienische Presse, Sofo und die Denkfabrik als die Architekten der nationalen Wende der Lega zu bezeichnen, die sich mit Salvini zu einer im ganzen Land erfolgreichen Partei entwickelte. Die Beziehungen zwischen Sofo und Salvini kühlten jedoch bald ab. In der Lega galt ersterer als zu erpicht darauf, den Kurs der Partei als Anführer zu steuern, anstatt Anweisungen zu folgen. Jahrelang fand er keinen Platz im politischen Geschehen. 

2016 kam dann der Wendepunkt in seinem persönlichen und beruflichen Leben: das Treffen mit Marion Maréchal. Il Talebano hatte mehrere französische Politiker zu einem Treffen mit der Lega-Spitze nach Italien eingeladen, darunter Salvini und der derzeitige Minister für wirtschaftliche Entwicklung, Giancarlo Giorgetti. 

Die Beziehung zwischen Maréchal und Sofo wurde 2018 öffentlich, als sie von Paparazzi zusammen an einem Strand in der Toskana fotografiert wurden. Dies trug nicht zur Verbesserung der Beziehungen zu Salvini bei, die von da an zum Scheitern verurteilt waren. Der Lega-Chef, der damals noch Innenminister war, erlaubte Sofo 2019 zwar, bei den Europawahlen zu kandidieren, allerdings nicht in seiner politischen Heimat Mailand, sondern nur in Süditalien. Angesichts der historisch schwachen territorialen Verankerung der Lega und der weit verbreiteten Verflechtung von lokaler Politik und organisierter Kriminalität war dies ein sehr schwieriges Gebiet für einen Neuling.

Viele sahen in dieser Entscheidung Salvinis den Versuch, Sofo zu schwächen, und beschuldigten ihn, auf dessen Niederlage zu spekulieren. Doch der vermeintliche Außenseiter erhielt zur Überraschung vieler eine überwältigende Anzahl von Stimmen und erlangte so das Mandat als EU-Abgeordneter.Sofos spätere Frau Marion, die ihn während des Wahlkampfs nach Kalabrien begleitete und wiederholt mit ihm fotografiert wurde, könnte eine Rolle bei seinem Erfolg gespielt haben. Sein Einzug in das EU-Parlament hielt jedoch die Verschlechterung der Beziehungen zur Lega nicht auf. Der endgültige Bruch erfolgte schließlich im Februar 2021, als Salvini der Regierung von Mario Dra­ghi beitrat. Während der Lega-Chef sich öffentlich hinter den ehemaligen Zentralbanker stellte, warf Sofo der Partei vor, sich der Demokratischen Partei und der Fünf-Sterne-Bewegung, die ebenfalls an der Regierung beteiligt sind, unterzuordnen. 

Sofo hält Populismus für gescheitert

Nach seinem Austritt aus dem „Carroccio“ schloß er sich den Fratelli d’Italia unter dem Vorsitz von Giorgia Meloni sowie der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer an. Von dieser erhielt der Süditaliener die Delegation für die Politik im Mittelmeerraum. „Monsieur Le Pen“, den viele Medien als Vertreter des Populismus bezeichnen, lehnt diese Zuschreibung jedoch vehement ab, weil er besagte Strömung als bereits gescheitert betrachtet. Der Populismus sei nicht in der Lage, eine regierungsfähige Klasse zum Ausdruck zu bringen, so die Kritik Sofos. Die Alternative müsse seiner Ansicht nach eine Föderation zwischen der konservativen Rechten, die für Konsens, aber nicht für eine herrschende Klasse stehe, und der gemäßigten Rechten sein, die für Regierungserfahrung, aber nicht für Konsens stehe. 

Genau das scheint seine Frau in Frankreich umsetzen zu wollen, wo sie die populistische Rechte mit der gaullistischen und bonapartistischen Rechten zusammenführen möchte. An dieser Stelle zeigt sich erneut die Uneinigkeit zwischen Nichte und Tante, denn Marine Le Pen fährt derweil eine andere Strategie.

Foto: Marion Meréchal und EU-Politiker Vincenzo Sofo bei ihrer Hochzeit: Tante Marine nahm nicht an der Feier teil, sondern besuchte eine Wahlkampfveranstaltung