© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/21 / 29. Oktober 2021

Grüße aus … Rom
Die Diva verläßt die Bühne nicht
Paola Bernardi

Kein anderes europäisches Land liebt seine Künstler so sehr wie Italien: Nirgends werden diese so leidenschaftlich beklatscht und beweint wie hier. Stirbt ein Film- oder Theaterstar, bilden sich lange Menschenschlangen auf der Piazza del Popolo in Rom. Dort in der Kirche Santa Maria del Miracoli findet meistens die öffentliche Aufbahrung statt und das „Popolo di Roma“, mit einer Blume in der Hand, ehrt zum letzten Mal seine Kultfiguren. 

Jedes Jahr am 19. Dezember, dem Todestag des 1996 verstorbenen Schauspielers Marcello Mastroianni, schwimmt ein Meer von weißen Rosen im Trevi-Brunnen. Mit der Geste erinnern die Italiener an den Film „La dolce vita“ mit Anita Ekberg, ein Meisterwerk des Regisseurs Federico Fellini. Bei einer Ausstellung über das Filmschaffen von Ikone Sophia Loren drängen Jung und Alt, Männer und Frauen in die Vernissage. Auch die italienische Sängerin Milva, aufgrund ihrer feuerroten Mähne „la Rossa“ genannt, sang sich über Jahrzehnte in die Herzen der Italiener. Im April dieses Jahres starb die 81jährige in Mailand. Dort wurde sie im Teatro Piccolo aufgebahrt und eine lange Menschenkette mit weißen Rosen in den Händen erwies ihr die letzte Ehre. Nun hat ihre einzige Tochter, Martina Corgnati, den Nachlaß der Diva der Universität Bologna überlassen. 

Milva gelang der Sprung vom Schlagerstar zur anerkannten Interpretin von Bertolt Brecht.

Die dortige Bibliothek für Kunst soll diesen üppigen Fundus erhalten, wie Direktor Francesco Ubertini stolz erklärte. Die Gemälde von Luigi Spazzana, die die Sängerin über alles liebte, gehen zurück in die Heimat des Malers nach Gradisca in Friaul. Milva, die in dem kleinen Ort Goro bei Ferrara zur Welt kam, war ein Jahrhunderttalent. Mit ihrer tiefen, rauchigen Altstimme zog sie ihr internationales Publikum schon beim ersten Ton in Bann. Sie schaffte den Sprung vom Schlagerstar zur anerkannten Interpretin von Bertolt Brecht. Entdeckt wurde sie vom Theaterregisseur Giorgio Strehler, der ihr die Rolle der „Seeräuber-Jenny“ in der Dreigroschenoper gab.

Mit der ihr eigenen Genialität hat sie sich über alle Grenzen hinweggesetzt: ob Schlager, Oper oder Volkslied. Überall löste sie größte Beifallstürme aus. Eine echte Diva eben. Die Bühne war ihr Reich, die Scheinwerfer ihre Spiegel. Der heutigen „Me-too-Generation“ voraus sang sie bereits vor 50 Jahren „Wer wird als Frau schon geboren, man wird zur Frau doch erst gemacht.“ Als Höhepunkt ihrer Karriere nannte sie ein Brecht-Konzert unter Claudio Abbado in Berlin. An internationaler Anerkennung mangelte es nicht. Der ehemalige deutsche Bundespräsident Horst Köhler verlieh ihr 2006 das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse. Sie erhielt überdies den Ritterschlag der französischen Ehrenlegion. Eine Doku-Fiktion soll nun dafür sorgen, Milva im Gedächtnis der jungen Generation lebendig zu halten.