© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/21 / 29. Oktober 2021

Bundesbankpräsident Jens Weidmann tritt zum Jahresende zurück
Hüter eines stabilen Euro
Joachim Starbatty

Die Rücktrittsankündigung von Jens Weidmann löste in der politischen und in der Bankenwelt ein starkes Echo aus: Der Hüter eines stabilen Euro geht von Bord. Die Kanzlerin hat durch ihren Pressesprecher verlauten lassen, daß sie dem Bundesbankpräsidenten für seine Arbeit in diesen währungspolitisch und finanzpolitisch sehr herausfordernden Jahren seiner Amtszeit danke. Kein persönliches Wort, kein Empfang, kein Gang vor die Presse – liebloser geht es nicht. Es gab zwischen beiden einen nicht überbrückbaren Dissens. Angela Merkel hatte nach der historischen Nacht vom 7. auf den 8. Mai 2010 ihre Position geändert.

Damals haben die Staats- und Regierungschefs der EU die Rettung des zahlungsunfähigen Griechenland beschlossen und einen Rettungsschirm in Höhe von 750 Milliarden Euro für überschuldete Mitgliedstaaten der Eurozone aufgespannt. Seither gilt für Angela Merkel die Maxime: „Der Euro ist alternativlos.“ Für Weidmann galt dagegen und gilt immer noch, daß die EZB ihrer eigentlichen Aufgabe, den Geldwert stabil zu halten, nachzukommen habe. Er hat sich als einziger am 26. September 2012 gegen Mario Draghi und gegen den gesamten EZB-Zentralbankrat gestellt, als der Ankauf von Staatspapieren zur Rettung überschuldeter Euro-Staaten beschlossen wurde. Der CDU-Kanzlerin und ihrem designierten Nachfolger Olaf Scholz von der SPD geht es um die Stabilisierung der Eurozone, dem Bundesbankpräsidenten um die Stabilität des Euro. Während Weidmanns zehnjähriger Amtszeit stand Merkel hinter Draghi und seiner Nachfolgerin Christine Lagarde. Mit Weidmanns Rücktritt werden sie alle einen lästigen Mahner los.

Und was bleibt von Jens Weidmann? Sein unermüdlicher Kampf um die Stabilität des Euro brachte ihm allgemeine Achtung ein, aber im EZB-Rat haben sich bei den wesentlichen Entscheidungen Draghi und Lagarde durchgesetzt. Sie wußten immer eine Mehrheit hinter sich. In seinem Abschiedsbrief an die Mitarbeiter der Bundesbank, der zugleich auch sein Vermächtnis ist, hat Weidmann hervorgehoben, daß er den diskretionären Spielraum der EZB bei der Interpretation der Inflationsrate stabilitätspolitisch eingehegt habe. Bislang hat die EZB-Politik eine Schlagseite: Bekämpfung vermuteter deflationärer Tendenzen – sofort; Bekämpfung inflationärer Tendenzen – erst einmal abwarten. Weidmanns Warnampeln könnten helfen, den Geldwert des Euro zu stabilisieren – unter der Voraussetzung, daß die Verantwortlichen in der EZB sich an diese Spielregeln halten. Bisher galt freilich für sie die Devise: Was müssen wir tun, um die Eurozone zu stabilisieren?

Das wird sich auch in Zukunft nicht ändern. Inzwischen ist die Diskussion um die Nachfolge von Weidmann entbrannt. Friedrich Merz (CDU) und Christian Lindner (FDP) präferieren einen Nachfolger, der aus dem Holz von Jens Weidmann geschnitzt ist, sie haben aber noch keinen Namen genannt. Wen Scholz, die SPD und die Grünen wollen, ist klar: Sie suchen jemanden, der sie bei ihrem Gang in eine europäische Fiskalunion begleitet. Da gibt es eine Reihe willfähriger Kandidaten. Jetzt ist Scholz am Zuge und kann sich den passenden Begleiter aussuchen. Es bleibt die Frage: Warum haben Merz und Lindner sich nicht zu Wort gemeldet, als Weidmann in seinem Kampf um einen stabilen Euro Rückendeckung gebraucht hätte?






Prof. Dr. Joachim Starbatty ist Ökonom und war Abgeordneter des EU-Parlaments.