© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/21 / 29. Oktober 2021

Schweigend auf einer Parkbank
Eine Erinnerung an das Folk-Duo „Simon & Garfunkel“ anläßlich ihrer 80. Geburtstage
Matthias Matussek

Wie schrecklich merkwürdig, siebzig zu sein, sangen sie auf ihrem Album „Bookends“ (1968), das Paul Simon als ihr „vollkommenstes“, bezeichnete, „How terribly strange to be seventy“.

Und nun sind sie achtzig, beide.

Wie schrecklich merkwürdig.

Das heißt, Paul Simon feierte seinen Geburtstag bereits vor zwei Wochen, am 13. Oktober, Art Garfunkel ist nächste Woche dran, am 5. November. In der Liste der einflußreichsten Rockstars des Musikmagazins Rolling Stone belegen sie gerade mal den 40. Rang, aber sie dürften die Liste der schwermütigsten anführten; schon ihr Erkennungs-Song aus dem Film „Die Reifeprüfung“ (1967), „The Sound of Silence“ ist eine Ballade, die sich ein Existentialist wie Albert Camus hätte ausdenken, hätte dichten können, und da war Paul Simon gerade mal 24.

Sie trafen das Lebensgefühl einer skeptischen Generation

So haben wir den Song in Erinnerung: Mit Dustin Hoffmans sehr jungem, sehr ratlosem Gesicht, das über der Kante einer Rolltreppe auftaucht, „hello darkness my old friend“, und der Song enthält bereits die Philosophie des ganzen Films, der einer der traurigen Aufsässigkeit ist, die Benjamin Braddock, dem Collegeabsolventen, ins Gesicht geschrieben ist, „I come to talk with you again“, auch die Langeweile, die Ablehnung der Erwachsenen-Welt und ihrer hohlen Spiele, dieser sanfte Song hebelt die grelle kalifornische Plastikwelt in eine düstere pubertäre Nacht.

Wer diesen Film mit 16 gesehen hat, der kommt als Ben aus dem Kino, bereit, gegen alle Welt anzukämpfen, und vor allem todesentschlossen, um seine Elaine zu kämpfen, um Katherine Ross, die Tochter der verhängnisvollen Verführerin Mrs. Robinson.

Wohl deshalb hat Regisseur Mike Nichols diesem schwermütigen Folk-Duo die Filmmusik anvertraut, und mit dem Song über jene ebenso gelangweilte Alkoholikerin „Mrs. Robinson“, die Ehefrau eines Kongreßabgeordneten, die man heutzutage als cougar, als Puma, als sexhungrige Raubkatze mit ersten grauen Haaren bezeichnen würde, gelang ihnen ein weiterer Hit. Das war 1968, die gewohnte Welt war ins Rutschen geraten, und die Jugend hatte recht. „The Sound of Silence“ war die melancholische Programm-Musik einer Generation und die „Reifeprüfung“ der Film dazu.

Ein paar Monate später erschien das Album „Bookends“, mit dem Song „Old Friends“ und der Zeile „…sat on their park bench like bookends“, sie sitzen da wie Bücherstützen im Regal, und zuvor eine Passage mit Stimmen der Alten, die Art Garfunkel in Seniorenheimen in New York und Los Angeles aufgenommen hatte, etwa „ich habe immer auf der Seite geschlafen, damit mein Mann Platz hatte … und da schlafe ich jetzt immer noch“. Oder: „Eine Frau hat nur eine Aufgabe im Leben, sich um die Kinder zu kümmern“, und man begreift mit Rührung, daß hier eine Generation vor allen Geschlechterkämpfen zu Wort kommt, eine, die die Depression und den Krieg erlebt hat und die Sorge füreinander.

Nur ein paar Monate nachdem sie mit „Sound of Silence“ die Harmonien einer jungen skeptischen Generation getroffen hatten, nahmen sie dieses Album auf, das über das Alter philosophierte „Can you imagine us years from today, sharing a park bench quietly? How terribly strange to be seventy“. 

Ja, die beiden Schulfreunde hatten 1957 begonnen, gemeinsam aufzutreten unter dem Namen „Tom und Jerry“, zunächst mit Songs im Stil der Everly Brothers und schüchternen ersten eigenen Kompositionen, bis eine davon, „The Sound of Silence“, Feuer fing. 

Aber da hatten sie sich wegen des ausbleibenden Erfolges ihres Folkalbums „Wednesday Morning 3 AM“ (1964) schon getrennt. Paul Simon zog um nach England, er versuchte es alleine in den Clubs und lernte dort Kathy Chitty kennen, die er in mehreren Liedern verewigte – am schönsten wohl in dem Song „America“.

Nun kehrten sie zurück und fanden wieder zusammen, und landeten mit dem Album „Parsley, Sage, Rosemary & Thyme“ (1966) und der Single-Auskoppelung „Homeward Bound“ einen weiteren Hit.

Jahrzehnte gingen sich beide aus dem Weg

Das „Bookends“-Album allerdings etablierte sie endgültig, es toppte wochenlang die Billboard-charts, und nie ist eine Greyhound-Bus-Tour von zwei verliebten Teenagern schöner beschrieben worden und nie die Einsamkeit in der Zweisamkeit: „Kathy I’m lost I said, though I knew she was sleeping/ I’m empty and aching and I don’t know why/ counting the cars on the New Jersey turnpike, they’ve all come to look for America“.

Merkwürdigerweise deutete sich schon mit „Bookends“ an, daß sie sich trennen würden. Dennoch schoben sie noch das Album „Bridge over Troubled Water“ (1970) hinterher, das bis zur Ankunft Michael Jacksons das meistverkaufte Rockalbum der Geschichte blieb. 

Die folgenden Jahrzehnte hindurch waren die beiden damit beschäftigt, sich aus dem Weg zu gehen, wenn sie sich nicht gerade beleidigten. Dennoch fanden sie immer wieder für einzelne historische Auftritte zusammen, etwa für das berühmte Konzert im Central Park 1981 vor 500.000 Zuschauern. 

Doch Paul Simon, der Songschreiber, blieb kreativ –- mit „Graceland“, dieser Fusion aus afrikanischer Musik und westlichem Rocksong, gelang ihm ein Geniestreich.

Ich hatte das Glück, die beiden im Madison Square Garden bei einem ihrer letzten Comeback-Auftritte zu erleben, und als sie noch einmal „Sound of Silence“ sangen, war es, als wäre ich einen Abend lang nochmal sechzehn und hieße Ben und kämpfte um meine Elaine.

Nun sind sie achtzig. Vielleicht teilen sie sich eine Parkbank. Wie merkwürdig.

 www.simonandgarfunkel.com