© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/21 / 29. Oktober 2021

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Aus der Kategorie „Soso“: „Die Kategorisierung eines Menschen anhand fragwürdiger äußerer Merkmale in eine ebenso fragwürdige Typologie ist wissenschaftlich betrachtet vollkommener Unsinn. Man kann niemanden anhand der Haut-, Haar- oder Augenfarbe einer Region oder einer ethnischen Gruppe zuordnen“ (Susanne Schröter, angeblich Ethnologin, vulgo Völkerkundlerin).

˜

Die schottische Regierung hat eine Unterrichtseinheit „Identität, Probleme und Geschichte LGBT“ verbindlich für alle Schularten – unter Einschluß der Grundstufe – festgelegt. Im Zentrum steht die Vorstellung, daß das bei der Geburt eines Kindes festgestellte Geschlecht nichts anderes ist als das Ergebnis des subjektiven Eindrucks, den der Arzt hat, der bei der Entbindung anwesend war.

˜

Spätestens seit der Revolution gilt Frankreich als „politisches Labor“ Europas. Was dort erprobt wird, findet über kurz oder lang Nachahmer auf dem Kontinent, ganz gleich, ob das Experiment erfolgreich abgelaufen ist oder nicht. Mit dieser Erkenntnis tut man sich in Deutschland schwer. Weshalb man auch brav jeden denkbaren Unsinn kopiert. Das galt etwa im Hinblick auf Zuwanderung, Aushöhlung des bewährten Staatsbürgerrechts und den Flitter „republikanischer Werte“. Dem neuesten Versuchsaufbau steht der Bundesbürger allerdings fremdelnd gegenüber. Weder begreift er, warum sich in Frankreich der kommende Präsidentschaftswahlkampf um Themen wie „Identität“ und „Islam“ dreht, noch daß gegen den Amtsinhaber mehrere Kandidaten auftreten, die alle versuchen, „die Rechte“ zu sammeln. Am interessantesten ist dabei die Konkurrenz zwischen Marine Le Pen, ihres Zeichens Vorsitzende des Rassemblement – ehedem Front National –, und dem Journalisten Eric Zemmour. Zemmour hat seinen Hut zwar noch nicht offiziell in den Ring geworfen, aber seine Strategie ist klar: ein Kurs, in der Sache härter als der von Madame Le Pen, aber ohne jene Nostalgien, die die französische Rechte seit je zu pflegen geneigt ist, im Grunde eine Art Gaullismus für das 21. Jahrhundert. Dessen Erfolg hängt eigentlich nur davon ab, ob Zemmours „Franzosen, ich habe Euch verstanden!“ so glaubwürdig ist wie das des verewigten Generals.

˜

Bildungsbericht in loser Folge: „Über die Entwicklung von Kindern mit Lernbeeinträchtigungen konnten keine weitergehenden Aussagen getroffen werden, da aus schulpolitischen Gründen auf die Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs in den Bereichen Lernen, Sprache und emotional-soziale Entwicklung verzichtet wurde.“ (Bernd Ahrbeck, Erziehungswissenschaftler, zu den Ergebnissen einer Langzeitstudie, mit der die Wirksamkeit von Inklusion an den Berliner Schulen überprüft werden sollte)

˜

Landauf, landab wird über den Arbeitskräftemangel geklagt. Unter anderem fehlen Sozialpädagogen, heißt es. – Das glaube ich nicht.

˜

Es gibt offenbar einen Zusammenhang zwischen dem Geschlecht der Kinder, die einer Ehe entstammen, und der Wahrscheinlichkeit einer Scheidung. Nach einer Untersuchung basierend auf Daten aus niederländischen Registern und US-Erhebungen, über die das Economic Journal im Juli berichtet hat („Daughters and Divorce“), spielt dieser Faktor bis zum Beginn der Pubertät und nach deren Ende keine Rolle. In der Adoleszenzkrise steigt die Gefahr einer Trennung allerdings deutlich – um fünf bis zehn Prozent –, sollten Töchter aus der Verbindung hervorgegangen sein. Als denkbare Erklärung wird vorgeschlagen, daß heute die Ansichten von Vater und Mutter darüber, was aus einem Mädchen werden sollte, wesentlich weiter auseinandergehen können, als darüber, was aus einem Jungen werden sollte.

˜

Untersuchungen zur Bevölkerungsstruktur Frankreichs haben ergeben, daß sie wesentlich homogener ist, als bisher angenommen. Es gibt zwar eine deutliche Binnendifferenzierung, die entweder dem Verlauf natürlicher oder sprachlicher Grenzen (zum Beispiel der sogenannten „Wartburg-Linie“, die die langue d’oil von der langue d’oc trennt), aber im wesentlichen handelt es sich bei den Franzosen um die Nachfahren dreier Gruppen: der „autochthonen“ Jäger und Sammler, der Viehzüchter, die in der Jungsteinzeit aus Kleinasien einwanderten, und der Angehörigen der Jamnaja-Kultur, deren ursprüngliche Heimat nördlich des Schwarzen Meeres lag und die wahrscheinlich die Träger der indoeuropäischen Sprachen waren. An sich müßte man annehmen, daß sich der genetische Einfluß letzterer von Ost nach West immer weiter abschwächt. Das trifft allerdings im französischen Fall für die Bretagne nicht zu. Dort ist der Anteil der DNA, die ihren Ursprung bei Mitgliedern der Jamnaja-Leute hat, prozentual am höchsten. Ob das das Ergebnis der ersten Migrationswelle war oder eine Folge späterer Landnahmen von den Britischen Inseln – die genetische Nähe der Bretonen zu Engländern und Iren ist auffallend hoch –, konnte bisher nicht abschließend geklärt werden.


Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 12. November in der JF-Ausgabe 46/21.