© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/21 / 29. Oktober 2021

„Und wenn die Zeit sich irrt?“
„Contra“ ist der überfällige Beitrag des zeitgenössischen Kinos zum Problem der verengten Diskursräume im universitären Milieu
Dietmar Mehrens

Jemandem heftig widersprechen, so erklärt der Duden die Redewendung „Kontra geben“. Besser kann man nicht auf den Punkt bringen, worum es in dem neuen Film von Sönke Wortmann geht. Der „Charité“-Regisseur hatte sich in der Frühphase seiner Karriere bereits mit der Verfilmung des Romans „Der Campus“ (1998) von Dietrich Schwanitz ins studentische Milieu begeben. Mit „Contra“ kehrt er nun in den Uni-Hörsaal zurück. 

So richtig gepfeffert Kontra geben möchte die aus Marokko stammende Naima Hamid (Nilam Farooq) ihrem Hochschullehrer, als sie zu spät in seiner Jura-Vorlesung erscheint und coram publico zurechtgewiesen wird. Aber die junge Frau ist dem rhetorisch beschlagenen Professor Pohl (Paraderolle für Christoph Maria Herbst) nicht gewachsen. Jede Einlassung Naimas pariert der mit einer Kaskade blank geschliffener Verbalwurfgeschosse; schließlich hat er Schopenhauers „Die Kunst, recht zu behalten“ gelesen.

Natürlich wandelt sich der Professor vom Saulus zum Paulus

Da Pohl sich aber zu einer polemischen Entgleisung versteigt, die in sozialen Netzwerken generös geteilt wird, gerät er schließlich doch in die Defensive: Ihm droht ein Disziplinarverfahren mit unsicherem Ausgang. Uni-Präsident Lambrecht (Ernst Stötzner) gibt ihm zu verstehen, daß viele wegen seiner „politisch unkorrekten Eskapaden“ bereits davon ausgehen, der Rechtsgelehrte kandidiere bald für die AfD. Oha – es ist also wirklich ernst! Doch Lambrecht sieht einen Ausweg: Naima hat sich für den bundesweiten Uni-Debattierwettbewerb beworben. Wäre der eloquente Elite-Akademiker bereit, die Erstsemestlerin dafür zu trainieren und so ein frühes Ausscheiden der Debütantin zu verhindern, würden seine Chancen vor dem Disziplinarausschuß steigen. 

Es wirkt reichlich aus der Zeit gefallen, wenn sich ein deutscher Uni-Professor im durch regenbogenfarbene Geßlerhüte, illiberale Cancel-Kultur und irritierende Selbstzensur vergifteten Klima noch ernsthaft traut, in einem vollen Hörsaal ironisch Sprüche über Burkas und Ghetto-Großfamilien zu klopfen. Dazu steht es zu schlimm es um die Freiheit der Lehre und des Wortes an deutschen Unis. Genauso konstruiert wirkt die filmhistorisch vielfach erprobte Grundidee, zwei Menschen zu einer Zwangsgemeinschaft zu verurteilen, die nur ihre wechselseitige Aversion verbindet. Sie dient natürlich der vor allem aus dem Hollywood-Kino bekannten Zuspitzung: Hund und Katze aufeinander los- und den Zuschauer dabei amüsiert zuschauen zu lassen, das funktioniert bekanntlich immer. Auch Debattierwettbewerbe sind übrigens an Universitäten im Ausland viel verbreiteter als an deutschen. Man merkt dem Drehbuch von Doron Wisotzky also durchaus an, daß es eine Adaption der französischen Komödie „Die brillante Mademoiselle Neïla“ (2017) für das deutsche Publikum ist.

Daß die Anfangssequenz, die Naimas Weg von der Wohnung ihrer Familie zur Uni zeigt, ein französisches Migrantenghetto so treffend abbildet wie ein deutsches, ist ein echter Augenöffner. Es ist eine beklemmende Erfahrung für den deutschen Zuschauer: Man befindet sich in Frankfurt und nicht in Frankreich und schon gar nicht in Rabat oder Damaskus. Aber woran merkt man das eigentlich?

Natürlich kann das Drehbuch der Versuchung zur Parteinahme nicht ganz widerstehen, wenn es Naima beispielsweise auf ihrem Weg zum Finale des Debattierwettbewerbs per Losglück die Chance eröffnet, Position gegen Islam-Kritiker zu beziehen. Natürlich steht von Anfang an fest, daß Professor Pohl sich vom Saulus zum Paulus wandeln wird. Und natürlich ist dies genau wie vieles von dem, was am Ende für Dramatik in „Contra“ sorgt, ein Klischee. Trotzdem ist der Film insgesamt ein eher erfreulicher Beitrag zur gesellschaftlich so relevanten wie akuten Problematik der Polarisierung und Lagerbildung, der zunehmenden Diskursunfähigkeit und der Ausgrenzung von Andersdenkenden. Wortmann und Wisotzky muten dem reaktionären Rechtswissenschaftler zwar eine Katharsis zu. Aber sie lassen ihn auch seine Punkte machen, etwa wenn er auf Naimas Tadel: „Man sollte einfach mal mit der Zeit gehen!“ antwortet: „Und wenn die Zeit sich irrt?“ 

Das Beispiel zeigt: Nicht nur Debatten, auch Filme leben vom Niveau des Dialogs.

Kinostart ist am 28. Oktober 2021  www.constantin-film.de