© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/21 / 29. Oktober 2021

Jugendschutz wird diverser
Neue Bundeszentrale: Geschlechterrollen stehen nun in einem „Gefährdungsatlas“
Ronald Berthold

Die Bundesregierung verschärft die Kriterien, die sie in Medien als kinder- und jugendgefährdend einordnet. Auch „überzeichnete Geschlechterrollen“ gehören neuerdings dazu. Sie stehen in einer Reihe mit „Cybersex“ und „Suizidforen“. All dies listet die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz (BzKJ) in einem „Gefährdungsatlas“ auf. Die neugeschaffene Behörde ist dem von Christine Lambrecht (SPD) geführten Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unterstellt.

Am 1. Mai ging die in Bonn sitzende Bundeszentrale aus der früheren Bundesprüfstelle für ju-gendgefährdende Medien hervor. Anlaß war das Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Jugendschutzgesetzes. Mit der Umbenennung geht nach eigenen Angaben ein „deutlich ausgeweiteter gesetzlicher Auftrag“ einher. Die neue Behörde folgt nach eigenen Worten „einem konsequent kinderrechtlich und am Mediennutzungsverhalten der Kinder und Jugendlichen ausgerichteten Verständnis von Kinder- und Jugendmedienschutz“.

Der Gefährdungsatlas mit insgesamt 35 bedrohlichen Medienphänomenen ist das Ergebnis des Strategieprozesses „Digitales Aufwachsen. Vom Kind aus denken. Zukunftssicher handeln.“ Er ist in Zusammenarbeit mit dem „JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis“ ent-standen. Diese von diversen bayerischen Ministerien und dem Bayerischen Rundfunk geförderte Einrichtung hat sich der „gendersensiblen Sprache“ verschrieben und dafür eine 55seitige Broschüre inklusive „Genderwörterbuch“ zum Neusprech erstellt. „Sehr geehrte Damen und Herren“ oder „Urheberrecht“ stehen dort als diskriminierend auf dem Index.

Insofern verwundert es nicht, daß nun auch „überzeichnete Geschlechterrollen“ Eingang in die Arbeit der BzKJ gefunden haben und jugendgefährdend sein sollen. Neben anderen sei auch diese angebliche Problematik „mit Gefährdungen für eine unbeschwerte Teilhabe verbunden“. Grundsätzlich halte man es für wichtig, „daß der Kinder- und Jugendmedienschutz einer Neuausrichtung seiner Schutzziele und Instrumente bedarf“. Die rasant wachsende Behörde schafft ihre Daseinsberechtigung auch aus immer neuen Herausforderungen für die sogenannte Medienerziehung.

Leiter mit wenig Behördenerfahrung

Um all den zusätzlichen Aufsichtsfunktionen nachkommen zu können, braucht die Behörde viel Personal. Die Zahl der Stellen wird massiv aufgestockt. Neben den 33 Mitarbeitern der früheren Bundesprüfstelle sollen 50 weitere hinzukommen, so daß insgesamt 83 öffentliche Bedienstete über den Jugendmedienschutz wachen – ein Plus von mehr als 150 Prozent.

Das Budget liegt bei mehr als sechs Millionen Euro. Außerdem erhält die Bundeszentrale eine „finanzielle Förderkompetenz“, die man laut Ankündigung mit dem „Schwerpunkt auf kindge-rechte Zugänge zum Internet ausgestalten“ werde. Mit Hilfe der üppig fließenden Steuergelder richtet man sogar einen Beirat unter direkter Beteiligung von Kindern und Jugendlichen ein. Wie diese ausgewählt werden, ist noch offen.

Die BzKJ verfügt auch über die Rechtsdurchsetzung für den Kinder- und Jugendmedienschutz. Gerät eine Plattform ins Visier der Behörde, soll es zunächst ein „dialogisches Verfahren“ geben. Bleibt dies aus Sicht der Aufsicht erfolglos, kann die Bundeszentrale „in letzter Konsequenz bei Nichtbefolgung empfindliche Bußgelder in einer Höhe von bis zu 50 Millionen Euro verhängen“. Sie erhält sogar das Recht, Verstöße ausländischer Anbieter zu bestrafen. Direktor der BzKJ ist Sebastian Gutknecht. Die Staatssekretärin im Jugend-Ministerium und ehemalige Bundesgeschäftsführerin der SPD, Juliane Seifert, hat den 47jährigen im Juni ernannt. Der Jurist, der laut Berichten „im sozialdemokratischen Lager gut vernetzt ist“, verfügt bisher über keinerlei Behördenerfahrung. Dafür bringt er Expertise aus den Bereichen „Gender, Ethnizität, Alter, sexuelle Identität“ mit. Als Geschäftsführer der nordrhein-westfälischen Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz (AJS) verfolgte er laut Leitbild das Ziel, diese „Differenz-Zuschreibungen“ kritisch zu hinterfragen und auf ihre Wirkmechanismen hin zu untersuchen. Als AJS-Leiter setzte er sich für „erzieherischen Kinder- und Jugendschutz“ ein.

Unter seiner Führung startet die Bundeszentrale mit jeweils eigenen Internetseiten diverser Kampagnen und Aktionen, die wiederum projektbezogene Förderungen der Bundesregierung erhalten. Am 27. Oktober stand der „Seitenstark Medientag“ an. In 37 „spannenden Sessions“ erhielten rund 1.000 Lehrer aus ganz Deutschland unter anderem Impulse für den sensiblen Umgang mit „Interkulturalität, Politik, Religion“.

Foto: Mann, Frau, divers, beides: Alles andere schade Kindern