© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/21 / 29. Oktober 2021

Von den Rittern zu Jutta Ditfurth
Eine allzu oberflächliche Analyse des europäischen Adels
Marcel Waschek

Der Adel ist Projektionsfläche mannigfaltiger Vorstellungen und Geschichtsbilder. Denn die Nobilität selbst ist ein sowohl historisch als auch ein im Dasein breitgefächertes Phänomen. Die Spiegel-Redakteurinnen Bettina Musall und Eva-Maria Schnurr versuchen in dem von ihnen herausgegebenen Buch „Die Welt des Adels“ eben dieses, so auf dem Einband angepriesen, für die europäischen Herrscherhäuser darzustellen. Autoren der einzelnen Kapitel sind neben den beiden Herausgeberinnen unter anderem Jutta Ditfurth, Eckart Conze und Johannes Saltzwedel. Zudem sind weitestgehend für sich allein sprechend ein Ausschnitt aus dem Werk „Der Alte Stand und die Revolution“ von Alexis de Tocqueville sowie Briefausschnitte verschiedener adliger Damen abgedruckt.

In 26 Kapiteln werden, als Aufsatz, Interview oder steckbriefartige Auflistung, einzelne Aspekte des europäischen Adels dargestellt. Die Auswahl der Themen stellt jedoch mehr eine Ansammlung anekdotischer Ausschnitte als eine wissenschaftlich sinnvolle und vor allem repräsentative Darstellung des Gesamtthemas dar. Daß ein derart komplexer Sachverhalt wie die Geschichte des Adels vom Mittelalter bis heute nicht so ohne weiteres auf knapp über 250 Seiten abgehandelt werden kann, versteht sich von selbst. Leider wird weder das Mittelalter noch das Heute (unter anderem ist Gloria von Thurn und Taxis Gegenstand eines Artikels) plausibel periodisiert. Stattdessen werden Schlaglichter auf einzelne Ereignisse geworfen. Bruchstückhaft wird häufig im selben Artikel durch die Jahrhunderte gesprungen, während sich die Betrachtungen des 18., 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts stark verdichten. 

Von der sehr oberflächlich behandelten Begrifflichkeit des Adels und seiner Titel geht es in schnellen Schritten über das kurz abgehandelte Rittertum zum Adel in der Neuzeit. Diesem ist dann auch der Großteil des Buches gewidmet. Nach einem Hieb auf das ostelbische Junkerwesen geht es schnell ans Ende des Ständestaates. Auch auf die zwiegespaltene Rolle des deutschen Adels im Nationalsozialismus wird hingewiesen. Dem folgen Interviews mit Hubertus Fürst und Alexander Graf Fugger-Babenhausen sowie eine Selbstdarstellung der früheren GrünenPolitikerin Jutta Ditfurth, die sich 1968 von ihrem adligen Familienverband löste und das „von“ ablegte. Ihre Beurteilung über die Rolle der Aristokratie heute ist dementsprechend wenig überraschend. Dem Anspruch, die Welt des Adels vom Mittelalter bis heute darzustellen, kommt das Buch nicht nach. Wer mag, kann beim Lesen Zerstreuung finden. Einen wissenschaftlichen Ansatz sucht man jedoch vergebens.

Bettina Musall, Eva-Maria Schnurr: Die Welt des Adels. Europas Herrscherhäuser vom Mittelalter bis heute. DVA, München 2021, gebunden, 256 Seiten, 20 Euro