© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/21 / 29. Oktober 2021

„Ich richte Ausflüge danach aus“
Nach dem Lockdown ist vor dem Spiel: Auch „Groundhopper“ zieht es wieder in die Stadien
Eric Steinberg

Der Besuch im Stadion gehört für viele Fans zum regelmäßigen Erlebnis Fußball. Dabei locken manch einen nicht nur Bratwurst, Bier und das runde Leder, sondern auch die Arena selbst. Während andere Briefmarken oder Münzen sammeln, machen diese Fans sich auf die Suche nach neuen Stadien. Fußballspiele schauen, nur um neue Spielstätten zu entdecken: das ist Groundhopping. 

Dieser Leidenschaft folgt auch Thomas Ex aus Velbert. Inzwischen hat er 2.100 Spiele und 408 Stadien gesehen. Mit 13 Jahren besucht er sein erstes Fußballspiel: MSV Duisburg gegen Bayern München. Danach geht es schnell. Schon mit 16 Jahren organisiert er eigene Auswärtsfahrten und entdeckt neben der für den MSV auch seine Liebe für Celtic Glasgow. Der schottische Verein führt ihn zu seinen ersten Auslandsreisen und den internationalen „Grounds“.

Aus dem Englischen übersetzt, bedeutet „Ground“ soviel wie Stadion. „Hopping“ heißt, von Sportanlage zu Sportanlage zu „hüpfen“, um den Glanz von immer anderen Spielstätten zu genießen. Dazu zählen nicht nur Spielstätten in Deutschland, sondern auch im weltweiten Ausland. Was besucht wird, wird im Anschluß dokumentiert. Die meisten Hopper, wie sie abgekürzt heißen, führen strenge Statistik über die Anzahl der besuchten Stadien. „Ich bin ein Fan von Statistiken, habe alles zu Hause feinsäuberlich in eine Excel-Tabelle eingetragen. Auch die alten Spiele, da ich die Eintrittskarten behalten habe“, berichtet Ex. Außerdem relevant: die Länderpunkte. Führt es die Fußballfanatiker über Landesgrenzen hinaus, erhöht sich die Anzahl besagter Punkte. Pro Land gibt es einen. Der Velberter hat mittlerweile 25 gesammelt: „Ich schaue auch im Urlaub immer, wo ich gerade Fußball schauen kann und richte Ausflüge auch explizit danach aus.“

Solche Ausflüge sind für Hopper oft mit Organisationsaufwand verbunden. Spielzeiten der Vereine zu recherchieren gehört ebenso dazu wie die Organisation der An- und Abreise. Um einen neuen Länderpunkt zu ergattern, benötigt es manchmal sogar den Flieger und im besten Fall ein günstiges Ticket. „Durch Billigflieger hat alles eine ganz neue Dimension bekommen. Ich habe früher ein- bis zweimal im Monat europäische Spiele gesehen“, meint Ex. 

Während der Corona-Pandemie war an solche Vergnügungstouren nicht zu denken. Vom 31. Oktober 2020 bis zum 12. Mai dieses Jahres hat Ex kein einziges Fußballspiel sehen können. Alle Spiele fanden unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt oder wurden sogar abgesagt. Dann griff der Fußballfan zu einem extravaganten Plan: Für das Pokalduell KFC Uerdingen gegen den MSV Duisburg ließ er sich als Ordner einsetzen und konnte so das Spiel seines Herzensvereins live im Stadion verfolgen. „Ich durfte dann auch noch hinter der MSV-Bank stehen und aufpassen“, erzählt der Velberter. Planen sei aktuell schwierig, alles entscheide sich kurzfristig, und die Tickets seien personalisiert.

Schon vor Corona hat sich um die Bewegung ein ganzer Kosmos gebildet. Inzwischen gibt es unzählige Blogs, Bücher und Magazine, in denen die Reiseberichte der Fans geteilt werden. Nicht nur das Spielergebnis, sondern auch das Drumherum liegt im Fokus der Hopper. „Ich liebe Entscheidungsspiele, Haßduelle und die Hexenkessel. Außerdem besuche ich gerne Stadien, bei denen ich weiß, daß sie bald stillgelegt werden. Die letzte Chance sozusagen. Ich habe zum Beispiel das viertletzte Spiel im Stadion von West Ham gesehen“, erzählt Ex.

Ein Besuch zählt nur nach den vollen 90 Minuten

Der Großteil der Hopper gehört zu den Fußball-Romantikern. Die meisten sind nicht auf der Suche nach modernster Arena-Technik, sondern bevorzugen eine Reise in die Fußballvergangenheit und den Charme alter Spielstätten. Diese Liebe kennt keine Liga: Besucht werden von den meisten „Ground“-Enthusiasten nämlich nicht nur hochklassige Profispiele, sondern auch niedrigere Spielklassen. Die Einstellung des Hoppers aus Velbert: „Es sollte auf jeden Fall eine Tribüne geben.“ Einen Stadion-Favoriten hat Ex trotzdem, das Tynecastle Stadium von Heart of Midlothian FC: „Alles ist super eng. Wenn es voll ist und man in der Mitte der Tribüne sitzt, kann man nicht erkennen, welche Fans gerade singen.“

Die Hopping-Bewegung entstand, wie auch der Fußball selbst, in England. 1978 gründete sich der „Club 92“. Mitglied werden durfte nur, wer alle „Grounds“ der vier englischen Profiligen gesehen hatte. Die Besuche mußten selbstverständlich sauber dokumentiert und nachgewiesen werden. Mittlerweile gibt es auch in Deutschland mehrere Hopping-Zusammenschlüsse, unter anderem die Vereinigung der Groundhopper Deutschlands. Ein einheitliches Regelwerk gibt es bis heute nicht, dafür aber einen Kodex, an den sich jeder in der Subkultur halten sollte. Ein Spiel zählt nur als besucht, wenn die vollen 90 Minuten geschaut wurden.

In so einer Vereinigung ist Thomas Ex nicht. Für ihn geht es auch alleine weiter. Zu den über 400 Stadien sollen schließlich noch einige hinzukommen: „Ein Ground vor dem Abriß wäre das Ellenfeldstadion in Neunkirchen. Hinzu kommen die fehlenden Stadien in der Oberliga Nordrhein nach Sterkrade-Nord, Nettetal und Meerbusch. Ländertechnisch möchte ich auf jeden Fall noch nach Kroatien, da war ich noch nie. Und nicht zu vergessen die neuen Stadien in Stockholm und Solna.“

Foto: Spielfelder als Trophäen: „Stadionhüpfer“ reisen um die Welt und „sammeln“ Fußballfelder