© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/21 / 29. Oktober 2021

Der Flaneur
Puterrot vor Verlegenheit
Elke Lau

Lange vor Corona erwarben wir in Berlin acht BVG-Fahrscheine, die ich heute nach nervöser Sucherei noch wiederfinde. Wir fahren also mit dem Auto los, finden in Tegel einen Parkplatz und steigen in die U-Bahn um.

Es ist recht warm. Die wenigen Fahrgäste sind spätherbstlich gekleidet, um so mehr erregt ein weibliches Wesen von etwa zwei Meter Größe in elegantem Trenchcoat, dickem Winterschal und Springerstiefeln unsere Aufmerksamkeit. Die Frau ist hinten eingestiegen, stolziert selbstbewußt vorbei und nimmt ein paar Meter weiter Platz.

Der Mann reißt mir plötzlich das Polohemd aus der Hand und verschwindet in der Umkleidekabine.

Gegenüber läßt sich ein junger Mann mit Rucksack häuslich nieder. Als der Zug anfährt, springt er auf und hält uns seine Legitimation vor die Nase: „Fahrkartenkontrolle! Bitte die Fahrausweise vorzeigen.“ Mir wird mulmig, ich zweifle plötzlich an der Gültigkeit der alten Scheine, aber die werden nach Überprüfung dankend zurückgereicht.

Kurz danach steht er vor der Außerirdischen. Sie hat augenscheinlich keinen gültigen Fahrausweis, denn die Aufnahme der Personalien dauert drei Haltestellen. Die Schwarzfahrerin muß nicht aussteigen, vielleicht hat sie nur die Monatskarte vergessen.

Wir sind am Ziel. Vor dem KaDeWe stecke ich mir Bargeld ein und lasse die Handtasche bei Begleiter Uli. Ich will in der Herrenabteilung ein Geburtstagsgeschenk für ihn suchen. Bereits nach kurzer Zeit werde ich fündig, halte zufrieden ein blaues Polohemd hoch, um es näher in Augenschein zu nehmen, als ein Mann es mir aus der Hand nimmt. „Ja, das sieht gut aus“, sagt er freudig und verschwindet in der Umkleidekabine. Verdattert schaue ich ihm hinterher, finde dann aber ein zweites Exemplar.

Sein Gesichtsausdruck, als er ein paar Minuten später an der Kasse direkt hinter mir steht, ist bühnenreif. Puterrot vor Verlegenheit stottert er: „Entschuldigung, ich hatte Sie für eine Verkäuferin gehalten.“ „Ist doch nüscht passiert“, tröste ich ihn, „irren ist menschlich, sprach dit Glühwürmchen und stieg von der Zigarettenkippen.“