© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/21 / 29. Oktober 2021

Unser Bargeld besteuern?
Bisher wird der Wert des Bargelds nur durch die Inflation vermindert, und so bieten Münzen und Scheine großen Vermögen einen Rückzugsort vor Minuszinsen auf dem Konto. Doch Ungemach droht.
Dirk Meyer

Aus den Reihen des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Europäischen Zentralbank (EZB) dringt die Idee, die Wertaufbewahrung in Bargeld zwecks Umgehung negativer Zinsen auf Sicht- und Spareinlagen unattraktiv zu machen. Euro-Bargeld und Euro-Buchgeld würden als zwei Währungen mit festem Umtauschkurs zirkulieren. Das Euro-Bargeld würde in Höhe des negativen Leitzinses/Tagesgeldsatzes gegenüber dem Euro-Buchgeld abgewertet – was quasi einer Steuer auf Bargeld entspräche.

Die Absenkung der Meldepflicht für Bargeschäfte auf 10.000 Euro, der Ausgabestopp der 500‑Euro-Note und Bargeldbeschränkungen in vielen Euroländern haben es nicht geschafft: Bargeld bleibt nach einer Studie der Bundesbank in Deutschland trotz eines langfristigen Trends hin zum elektronischen Bezahlen das beliebteste Zahlungsmittel. Die Corona-Pandemie hat das kontaktlose Zahlen allerdings befördert. Laut einer Erhebung der Bundesbank von 2020 werden 60 Prozent aller Zahlungen in bar vorgenommen, während Karten einen wachsenden Anteil von 29 Prozent einnehmen. Im Euroraum stieg der Anteil des Bargelds am Bruttoinlandsprodukt zwischen 2007 und 2017 sogar um etwas über drei Prozent. Ein Rückgang wird nur für Dänemark, Schweden und Norwegen angegeben. Allerdings weicht die Bargeldhaltung in den Ländern aus ganz unterschiedlichen Gründen voneinander ab. Zahlungsgewohnheiten, illegale Geschäfte und Schattenarbeit, die Wahrung der Anonymität, die Sicherheit vor Systemunfällen oder aber die Versicherung gegen Bankpleiten prägen die Präferenzen. Nicht zuletzt bieten neuerdings Negativzinsen („Verwahrentgelte“) Anreize zur Bargeldhaltung – zu Hause im Safe oder im Bankschließfach.

In den Reihen des IWF und der EZB wurde gleichzeitig eine Idee entwickelt, die zwei Preisauszeichnungen im Supermarkt zur Folge haben könnte: die höhere bei Bargeldzahlung, die niedrigere bei Kartenzahlung. Undenkbar? Keinesfalls!

Bei abflauender Konjunktur stehen Zentralbanken mit einem Leitzins von Null (EZB) oder gar Negativzins (zeitweise: Schweiz −0,25 bis −1,25 Prozent, Schweden −0,5 Prozent, Japan −0,1 Prozent) vor einem Dilemma: Eine notwendige Absenkung des Leitzinses um mehrere Prozentpunkte stößt an eine natürliche Grenze: die Kosten der Bargeldhaltung. Da der Einlagenzins für Giro- und Sparkonten an den negativen Hauptrefinanzierungszins einer Zentralbank gekoppelt ist, können Kunden ihre Wertaufbewahrung auf Bargeld umstellen, wenn die „Verwahrgebühr“ bei Banken zu hoch wird. Allerdings fallen hier Transport-, Tresor- und Versicherungskosten an. Mit dem derzeit von der EZB und zahlreichen Geldhäusern erhobenen Strafzins von −0,5 Prozent p. a. scheint die Schwelle erreicht, denn einige vermögende Privatkunden horten bereits erhebliche Bargeldbestände. Dies zumeist in Form der 500‑Euro-Note, die nach ihrem von der EZB beschlossenen schrittweisen Einzug zukünftig durch den 200‑Euro-Schein ersetzt werden müßte. Infolge der dann knapp 2,5fachen Kosten wäre der EZB wieder ein kleiner Spielraum bis zu −1,25 Prozent beschert. Doch dieser dürfte bei einer tiefen Rezession nicht ausreichen.

Ruchir Agarwal (IWF), Katrin Assenmacher (EZB) und die Gouverneurin der Dänischen Nationalbank Signe Krogstrup haben kürzlich die Idee präsentiert, Bargeld mit einer Steuer zu belegen. Sie knüpft an das sogenannte Schwundgeld nach Silvio Gesell an. Etwas vereinfacht, schlagen sie Euro-Bargeld und Euro-E‑Reserven als zwei Währungen mit festem Umtauschkurs vor. Das Euro-Bargeld würde in Höhe des negativen Leitzinses bzw. Tagesgeldsatzes EONIA gegenüber den Euro-E‑Reserven abgewertet. Beträgt der Leitzins beispielsweise −5 Prozent, wären Scheine und Münzen pro Jahr gegenüber dem E‑Geld 5 Prozent weniger wert. Bei Konstanz des Leitzinses/EONIA von −500 Basispunkten (0,5 Prozent p. a.) würde die tägliche Abwertung des Bargeldes −1,39 Basispunkte (500 Basispunkte/360 Zinstage) betragen. Die EZB würde diesen administrativ-regelgebundenen Wechselkurs täglich veröffentlichen. Über den Zinskanal würden Sicht- und Spareinlagen der Geschäftsbanken ihren negativen Guthabenzins anpassen. Damit wäre das Halten von abgewertetem Bargeld genauso attraktiv oder unattraktiv wie eine Einzahlung auf das Girokonto mit negativem Einlagenzins. Den Euro-Bargeld-Haltern wäre diese Alternative, einer Quasienteignung zu entgehen, fortan versperrt, und die EZB hätte Handlungsspielraum zurückgewonnen. De facto handelt es sich um zwei Euro-Parallelwährungen. Die Währungsreform müßte in einer Änderung der EU-Verträge einstimmig beschlossen werden – was bei einigen Ländern auf Widerstand stoßen dürfte. 

Gewöhnlich fallen die drei Geldfunktionen Recheneinheit, Zahlungsmittel und Wertaufbewahrungsmittel zusammen. Bei Parallelwährungen wird diese Einheit jedoch häufig durchbrochen. Fortan würde der E‑Euro als Recheneinheit und Vertragswährung, insbesondere bei wiederkehrenden Leistungen, dominieren. Der Euro-Bürger würde deshalb beim täglichen Einkauf voraussichtlich nur noch den E‑Preis in der Warenauszeichnung auffinden. Da jedoch in Deutschland die Barzahlung dominiert, würden spätestens an der Kasse die aufaddierten Abwertungen des Bargelds sichtbar. Entweder führt dieser psychologische Effekt zu einem generellen Vertrauensverlust in die Euro-Währung und/oder die Tendenz zur bargeldlosen Bezahlweise würde verstärkt. In jedem Fall würde die EZB enorme Kommunikationsanstrengungen benötigen, um Akzeptanz zu erreichen.

Um die Funktionen des E‑Gelds zu fördern, könnte man Nichtbanken (Unternehmen, privaten Haushalten) den Zugang zu Zentralbank-Sichteinlagen ermöglichen. Dies wird im Zusammenhang mit dem E‑Euro bereits diskutiert. Entsprechend müßte die EZB Konten für Nichtbanken führen. Da dieses sogenannte Vollgeld gegenüber dem Kreditgeld der Banken sicherer wäre, könnte der Negativzins auf diese Einlagen – als Absolutbetrag – ein wenig höher sein. Vollgeld liegt im Bereich der Emission von (Scheide-)Münzen bereits seit Jahrhunderten vor, so auch bei den Euro-Münzen.

Da die EZB mit Blick auf die hochverschuldeten Krisenstaaten (Zinslasten, Kapitalmarktzugang) die Macht über eine Zinserhöhung verloren hat, wirkt der Negativzins als eine Art Sperrklinke. Jede Rezession/Krise schafft ein neues Negativzinsniveau, das als Basis für zukünftige Zinssenkungen dienen muß, damit hochverschuldete Staaten und Unternehmen nicht zusammenbrechen. Allein die Annahme eines dauerhaften Leitzinses von minus fünf Prozent würde – ohne jegliche Inflation, die zur Abwertung noch hinzukäme – alle vierzehn Jahre eine Halbierung des Bargeld-Eurokurses bewirken.

Als weiterer Vorteil wird die Möglichkeit der Zentralbank hervorgehoben, die Attraktivität des Bargelds über die Abwertungsrate zu steuern. Ein Rückgang der Bargeldquote würde demnach einen kollektiven Bank Run bei einer Bankenkrise weniger wahrscheinlich machen und die Finanzstabilität erhöhen. Allerdings dürfte sich lediglich die Erscheinungsweise eines Bank Runs ändern: Statt zu Barabhebungen kommt es zu (Auslands-)Überweisungen in sichere Länder – und entweder gehen die Zentralbankreserven der Banken schnell zur Neige oder die Notenbank trägt die Verluste. Allerdings kann es bei Negativzinsen nicht zur Illiquidität des Kreditnehmers aufgrund ausbleibender Zinszahlungen kommen. Diese wäre auf den Zeitpunkt einer möglichen Rückzahlung bzw. Verlängerung des Kredits verschoben.

Die EZB könnte mit dieser Währungsreform von einem Anstieg des Zentralbankgewinns profitieren. Die Abwertung der Banknoten führt zu abnehmenden Verbindlichkeiten und zu einem „Entwertungsgewinn“ der Notenbank. Die Einführung von Zentralbankgeldkonten für Nichtbanken würde einen weiteren Zusatzgewinn ermöglichen.

Die unerwünschten Nebenwirkungen dieser fortgeführten Negativzinspolitik für Sparer und die Geschäftsmodelle von Lebensversicherungen und Banken bleiben in diesem kreativen, aber kaum innovativen Ansatz zukünftiger Währungspolitik unbeachtet. Banken geben Kredite in der Regel mit längerer Laufzeit, während die Einlagen kurzfristig kündbar sind. Ein Zinsanstieg brächte den Bankensektor infolge der auseinanderfallenden Laufzeiten in eine instabile Lage. Zur Wahrung ihrer Attraktivität müssen die Kapitalanlagegesellschaften in riskantere Anlagen ausweichen. Weitaus schwerer wiegen letztlich negative Anleihezinsen auf Unternehmen und Staaten. Zwar gab es Perioden negativer Realzinsen von bis zu minus zwei Prozent (Spareckzins) bereits vor der Euro-Einführung, doch brachten die Risikoprämien den Anleihezins zurück ins Plus. Nun droht Kapitalvernichtung durch Investitionen mit negativer Wertschöpfung und einen ausufernden, schuldenfinanzierten Sozialstaat. Nationale Parallelwährungen mit flexiblen Wechselkursen wären der bessere Weg. Sie entlasten die EZB aus ihrer Rolle, für alle 19 Eurostaaten einen „einheitlichen Geldanzug“ schneidern zu müssen, und ermöglichen den Eurostaaten eine eigenständige Anpassung an ihre jeweilige Situation. Fazit: Die Währungsreform „light“ bedroht das Vertrauen in die Euro-Währung, und negative Realzinsen rufen erhebliche Verwerfungen bei Kapitalanlegern, Banken, Unternehmen und Staaten hervor. 






Prof. Dirk Meyer lehrt Ordnungsökonomik an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg. Er war Gutachter für Verfassungsklagen gegen die Griechenlandhilfe.