© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/21 / 29. Oktober 2021

Der „Reichtum“ einer Erbschaft
„Die Reichen“ haben viel Geld, das sie „leistungslos“ an ihre Nachkommen weitergeben. „Die Gesellschaft“ soll davon mehr abbekommen, sagen viele. Doch gerechter wäre es, die Erbschaftsteuer ganz abzuschaffen.
Ulrich van Suntum

Erben stärker besteuern und dafür Arbeitnehmereinkommen entlasten – das klingt für viele vernünftig und gerecht. Sogar zwei Drittel der deutschen Ökonomen sind laut einer Befragung von 2017 dafür, und auch internationale Organisationen wie die OECD und der IWF befürworten einen solchen Weg. Kein Wunder also, daß eine höhere Erbschaftsteuer bei den linken Parteien ganz oben auf der Agenda steht. Sowohl die SPD als auch die Linke und die Grünen sprechen sich in ihren aktuellen Wahlprogrammen dafür aus. CDU und FDP halten sich eher bedeckt, dürften in einer neuen Regierungskoalition aber wohl schnell einknicken. Im deutschen Parteienspektrum ist allein die AfD dagegen. Sie will die Erbschaftsteuer sogar ganz abschaffen, da diese an die Unternehmenssubstanz gehe. Die Partei steht damit allerdings allein da und hat zudem auf absehbare Zeit auch keine Chance auf eine Regierungsbeteiligung.

Im Jahr 2020 trug die Erbschaftsteuer mit 8,6 Milliarden Euro nur 1,2 Prozent zum Gesamt­steueraufkommen bei. Gemessen an der Wirtschaftsleistung ist das im internationalen Vergleich dennoch viel, Deutschland liegt damit auf Platz 8 von insgesamt 37 OECD-Ländern. Elf von ihnen erheben gar keine Erbschaftsteuer, so etwa Norwegen, Schweden und Österreich. Zählt man Erbschaftsteuer und Vermögensteuer zusammen, so liegt ihr Aufkommen mit 0,3 Prozent des BIP im internationalen Mittelfeld, wie das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in einer aktuellen Studie ermittelt hat. Es gibt also insoweit zumindest keinen Nachholbedarf.

Trotzdem klingt die Idee natürlich bestechend. Pro Jahr werden in Deutschland Schätzungen zufolge Vermögen im Wert von etwa 200 bis 400 Milliarden Euro vererbt. Davon unterliegen wegen hoher Freibeträge und vieler Ausnahmen allerdings effektiv nur rund 40 Milliarden Euro der Steuer, was einen durchschnittlichen Steuersatz von etwa 18 Prozent für Erbschaften ergibt. Warum also nicht diesen kräftig erhöhen und dafür beispielsweise die Lohnsteuer entsprechend senken? Vielen Befürwortern schwebt dabei ein Steuersatz von 50 bis 60 Prozent vor. Damit würde sich der Staat bei jeder Erbschaft mehr als die Hälfte des betreffenden Vermögens aneignen.

Gerechtfertigt wird das zum einen mit der ungleichen Vermögensverteilung, die man auf diese Weise zumindest ein Stück weit korrigieren wolle. Zum anderen sollen daraus sogar positive Arbeitsmarkteffekte resultieren. Denn niedrigere Lohn- und Einkommensteuern, so etwa das IW, führen tendenziell zu stärkeren Arbeitsanreizen und niedrigeren Personalkosten. Allerdings sind die entsprechenden Auswirkungen bei realistischen Annahmen verschwindend gering, wie das Institut selbst errechnet hat. Würde man beispielsweise die Ausnahmen weitgehend beseitigen und zudem den Steuersatz von heute 18 auf 20 Prozent erhöhen, ergäben sich Steuermehreinnahmen von lediglich neun Milliarden Euro pro Jahr. Auch der Beschäftigungseffekt einer aufkommensneutralen Einkommensteuersenkung wäre mit nicht einmal 50.000 Arbeitsplätzen bescheiden. Und dabei sind noch nicht einmal die Ausweicheffekte berücksichtigt, mit denen sich insbesondere die mittelständische Wirtschaft vor der Steuer zu schützen versuchen würde. 

Hier liegt auch der Kardinalfehler der gesamten Idee. Denn es wäre naiv zu glauben, daß die scheibchenweise Konfiszierung der Privatvermögen ohne negative Folgen bliebe. Bei den größeren Erbschaften handelt es sich in aller Regel nicht etwa um Segelyachten oder Luxusvillen, sondern um Betriebsvermögen. Ein Aderlaß von 20 Prozent bei jedem Generationswechsel würde vielen Familienunternehmen schlicht den Garaus machen. Zumal ja gerade die linken Politiker in Wahrheit gar nicht daran denken, zum Ausgleich andere Steuern zu senken. Im Gegenteil, laut vorliegenden Wahlprogrammen soll zusätzlich die Vermögensteuer wiedereingeführt und zusätzlich die Einkommensteuer für „Besserverdienende“ erhöht werden. Das ist nicht weniger als ein Generalangriff auf den deutschen Mittelstand, der viele Arbeitnehmer ihren Job kosten wird. Gerade in Deutschland sind kleine und mittlere Unternehmen das Rückgrat der Wirtschaft und zudem Motor für Innovationen und Export­erfolge. Sie erwirtschaften mehr als die Hälfte der Wertschöpfung und stellen fast 60 Prozent aller Arbeitsplätze sowie rund 82 Prozent der betrieblichen Ausbildungsplätze. Wer den Mittelstand steuerlich erdrosselt, verursacht deshalb Kollateralschäden, die mit größter Wahrscheinlichkeit zu sinkenden statt steigenden Steuereinnahmen und zu höherer Arbeitslosigkeit statt positiver Beschäftigungseffekte führen.

Naive Modellrechnungen wie die des IW blenden dies weitgehend aus. Das hängt vielleicht damit zusammen, daß das arbeitgebernahe Institut vor allem die Interessen der Großindustrie vertritt. Große Aktiengesellschaften im Streubesitz sind von der Erbschaftsteuer kaum betroffen, da es bei ihnen keinen steuerlich relevanten Generationswechsel gibt. Dieser Unterschied zeigt auch das nächste, ganz grundsätzliche Problem einer Erbschaftsteuer auf: Wie kommt eigentlich der Staat dazu, allein aufgrund eines Eigentümerwechsels die Substanz eines Unternehmens zu besteuern? Schließlich zahlt dieses ja genauso wie bisher weiter Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer, und das nicht zu knapp. Für eine zusätzliche Belastung der Unternehmen mit Erbschaft- oder Vermögensteuer, und das auch noch völlig unabhängig von der tatsächlichen Ertragslage, gibt es daher in Wirklichkeit keine Rechtfertigung. 

Oft wird dem entgegengehalten, der plötzliche Vermögenszuwachs des Erben sei doch schließlich auch so etwas wie Einkommen. Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist das aber Unsinn, denn es wird durch den bloßen Eigentümerwechsel keine Wertschöpfung erzielt. Dem Vermögenszuwachs des Erben steht vielmehr ein gleich hoher Vermögensabgang beim Erb­lasser gegenüber. Besonders deutlich wird das im Fall einer Schenkung, die ja analog zu Erbschaften besteuert wird: Der Beschenkte gewinnt, was der Schenkende hergibt. Will man den Beschenkten steuerlich belasten, müßte deshalb der Schenkende analog steuerlich entlastet werden. Davon will aber natürlich niemand etwas wissen. Allein das zeigt schon, daß es mit der Logik der Erbschaftsteuer­befürworter in Wirklichkeit nicht weit her ist.

Vielmehr werden in Wirklichkeit nicht einmal die gängigen Gerechtigkeitsvorstellungen von der Erbschaftsteuer erfüllt. Diese setzt insbesondere nicht an der Leistungsfähigkeit des Erben an – dessen soziale Lage spielt vielmehr gar keine Rolle. Statt dessen richtet sich die Höhe des Steuersatzes maßgeblich nach der Art des vererbten Vermögens und dem Verwandtschaftsgrad. Betriebsvermögen und selbstgenutzte Immobilien werden milder besteuert als Finanzvermögen oder fremdvermietetes Wohneigentum, und die eigenen Kinder werden gegenüber Erben begünstigt, die nicht mit dem Erb­lasser verwandt sind. Das führt zu absurden Ergebnissen: Erbt etwa der – möglicherweise unternehmerisch unfähige – Sohn eine Bäckerei im Wert von 600.000 Euro, so zahlt er 15 Prozent Erbschaftsteuer und hat dabei zudem einen Freibetrag von 400.000 Euro. Hinterläßt der Bäcker statt dessen das Geschäft seinem tüchtigen Gesellen, so muß dieser den doppelten Steuersatz darauf entrichten, bei einem Freibetrag von lediglich 20.000 Euro. 

Das ist nicht nur wirtschaftlich unsinnig, sondern es widerspricht auch der gesamten Logik der Erbschaftsteuer. Denn diese soll ja eigentlich verhindern, daß jemand aufgrund seiner wohlhabenden Eltern von Geburt an besser gestellt ist. Mal abgesehen davon, daß dies ohnehin nie gelingen kann, bewirkt die konkrete Ausgestaltung der Erbschaftsteuer in Deutschland das genaue Gegenteil. Konsequent wäre es vielmehr, das Erb­recht selbst zu reformieren und insbesondere den Pflichtteil für Kinder und andere Nachkommen zu streichen. Dann könnte der Erb­lasser demjenigen sein Vermögen hinterlassen, dem er es am liebsten anvertrauen möchte, was sowohl gerechter als auch wirtschaftlich vernünftiger wäre. 

Damit nicht genug: Die Erbschaftsteuer wird zunehmend auch zum Zweck einer unmittelbaren staatlichen Einflußnahme auf zentrale Unternehmensentscheidungen mißbraucht. So wird sie teilweise oder sogar komplett erlassen, wenn der Betrieb in den kommenden Jahren „weitgehend unverändert weitergeführt“ wird. Insbesondere darf die Summe der ausgezahlten Löhne gegenüber dem Vererbungszeitpunkt nicht oder zumindest nicht zu stark sinken. Damit sollen vor allem Entlassungen vermieden werden, selbst wenn eine sinkende Nachfrage oder geringere Erträge dies eigentlich erfordern würden. Man kann sich leicht vorstellen, zu welcher Bürokratie und Trickserei solche Vorgaben in der Praxis führen. Zudem könnte dieses Einfallstor von einer künftigen links-grünen Regierung leicht zur Durchsetzung weiterer politischer Ziele genutzt werden. Von Klimaschutzanforderungen über Genderziele bis hin zu konkreten Investitionsvorgaben ist hier so ziemlich alles denkbar. Mit Marktwirtschaft hat all das allerdings nicht mehr viel zu tun. 

Auch der Gerechtigkeitsanspruch der Erbschaftsteuer wird durch die vielen Sonderregeln ad absurdum geführt. Das gilt auch für die vererbte Wohnimmobilie: Sie bleibt in der Regel steuerfrei, wenn sowohl der Erb­lasser selbst darin gewohnt hat als auch der Erbe dies für mindestens zehn Jahre tut. Wird sie dagegen vermietet, fällt Erbschaftsteuer an, selbst wenn die Immobilie aufgrund der restriktiven Mietgesetze vielleicht gar keinen Ertrag erbringt.

Der ganze Unfug hat allein den Sinn, die Masse der kleineren Erben nicht zu verschrecken. Sonst würden sie wohl erkennen, wie ungerechtfertigt die nochmalige Schröpfung des schon voll versteuerten Eigentums ihrer Eltern ist. So aber kann man nach dem Prinzip des Divide et Impera immer sagen, daß es ja nur die Reichen treffe. Das ist angesichts der vielen Nebenwirkungen zwar falsch, verfängt aber dennoch bei vielen. Deshalb ist eine Abschaffung der Erbschaftsteuer schwer durchsetzbar, obwohl sie tatsächlich die einzig richtige Konsequenz wäre. 






Prof. Ulrich van Suntum, Jahrgang 1954, lehrte von 1995 bis 2020 Volkswirtschaft an der Universität Münster.