© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/21 / 05. November 2021

„Keine Angst vor Cancel Culture“
Ein neuer Kurznachrichtendienst soll dem Internet die Freiheit zurückbringen: Jason Miller, bis vor kurzem Berater Donald Trumps, will mit „Gettr“ auch Konservativen und Rechten wieder digitale Meinungsfreiheit bieten
Moritz Schwarz

Herr Miller, wozu Gettr?

Jason Miller: Es braucht eine Onlineplattform für freie Rede, einen offenen Marktplatz der Ideen! Denn die „Dorfmitte“, also der Ort, wo Menschen traditionell zusammenkommen, um sich auszutauschen, sind heute die Sozialen Medien.

Das haben wir doch alles schon bei der Einführung von Facebook, Twitter und Co. gehört. 

Miller: Aber die haben ihr Versprechen nicht gehalten, zensieren in immer größerem Ausmaß. Gettr garantiert wieder die Möglichkeit, frei zu sprechen, ohne daß man Angst haben muß, mit der politisch korrekten Woke-Kultur der Eliten, Linken, etablierten Medien und großen Internetanbieter in Konflikt zu geraten – daß meine Meinung gecancelt wird und ich ins digitale Gefängnis gesperrt werde. 

Aber es gibt doch längst Alternativen – Dienste wie Parler oder Telegram.

Miller: Ja, denn „Big Tech“ – also die großen Online-Anbieter, gern auch mit GAFAM abgekürzt: Google, Amazon, Facebook, Apple, Microsoft – und die etablierten Medien argumentieren, wem ihre Zensurregeln nicht gefallen, soll doch eine eigene Plattform gründen. Das wurde gemacht, dennoch gibt es nur wenige. Warum? Weil die Technik anspruchsvoll und teuer ist und so die Entwicklung lange dauert. Zudem bekommen alternative Dienste nicht die besten Mitarbeiter. Denn die überlegen es sich gut, ob sie für die Rivalen der Big-Tech-Firmen arbeiten. Was nämlich werden diese künftig über sie denken, wenn sie für deren Konkurrenz tätig waren? Wir dagegen haben über fünfzig Millionen Dollar in den Aufbau von Gettr investiert! Und so sichergestellt, über Spitzentechnologie zu verfügen. Denn gebraucht werden nicht irgendwelche Alternativen, sondern eine, die mit den Big-Tech-Angeboten mithalten, ihnen auf Augenhöhe begegnen kann. Deshalb ist Gettr auch nicht nur die Antwort für den einzelnen auf die Zensur, wie bei den herkömmlichen Alternativen, sondern eine Antwort für die ganze Gesellschaft.

Was meinen Sie? 

Miller: Sehen Sie, die Idee für Gettr entstand im letzten Jahr, als wir in die wohl dunkelste Phase der Online-Zensur eingetreten sind. Ich weiß nicht, ob der Vorgang deutschen Zeitungslesern bekannt ist, aber 2020 gab Joe Bidens Sohn Hunter einige Rechner in Reparatur – die allerdings vertrauliche Geschäftsdaten der Familie enthielten und deren korrupte Machenschaften aufzeigten. Als die New York Post über die so ans Licht gekommenen Praktiken der Bidens berichtete, löschten Twitter, Facebook etc. den Artikel, ja sperrten sogar den Zugang der New York Post – eine der ältesten und größten Tageszeitungen der USA! Es geht also keineswegs nur darum, daß einzelne, die zensiert werden, eine alternative Plattform finden, um sich digital zu artikulieren, sondern um eine Plattform, die eine breite, professionelle freie Information der Gesellschaft jenseits der Online-Riesen gewährleisten kann! Denn die sind es, die darüber richten, wer zensiert wird, und so massiv politischen Einfluß ausüben, weil sie so entscheiden, welche Informationen bekannt werden und ins Bewußtsein der Leute dringen und welche unterdrückt werden und damit der Masse der Menschen unbekannt bleiben. 

Das setzt voraus, daß Gettr groß und einflußreich ist. Das aber ist nicht der Fall. Sie haben gerade mal 2,5 Millionen Nutzer weltweit. Zum Vergleich: Facebook hat über 2,5 Milliarden, Twitter über 350 Millionen. 

Miller: Wir sind auch erst im Juni gestartet. Tatsächlich aber ist Gettr das Soziale Medium, das am schnellsten eine Million Nutzer erreicht hat – in nur drei Tagen! Und das am schnellsten auch die Zwei-Millionen-Nutzer-Marke gerissen hat – in gut einem Monat. Zu Beginn der Planung stellte ich fest, daß das Zensurproblem nicht nur im Westen besteht, sondern überall auf der Welt. Es gibt für Gettr also globalen Bedarf, was uns schnell wachsen läßt. Schon jetzt sind weniger als vierzig Prozent unserer Nutzer US-Amerikaner, 14 Prozent kommen aus Brasilien, 13 Prozent aus Japan, gut sechs Prozent, und damit Platz vier, aus Deutschland, also etwa 160.000 bis 170.000 Nutzer. Dahinter rangieren Kanada, Großbritannien, Frankreich etc. 

Den Etablierten gilt Gettr als die Antwort „der Rechten“ auf ihre Zensur. Stimmt das? 

Miller: Wir machen unser Angebot keineswegs nur Nutzern von Rechts bis Mitte, sondern allen, die die Errungenschaft der Meinungsfreiheit schätzen. Gettr steht jedem offen, Konservativen und Rechten, die anderswo zensiert oder gesperrt werden, aber auch allen sonstigen Richtungen – solange sie erstens das Prinzip der freien Rede respektieren und zweitens Cancel Culture ablehnen.

Allerdings hat Gettr seinen Ruf bereits weg, und erfahrungsgemäß schreckt das, wenn auch zu Unrecht, andere politische Richtungen ab.

Miller: Mag sein, daß noch kaum Nutzer aus dem Bereich Mitte bis Links zu uns gefunden haben, aber werden die erst mal bei Facebook und Co. zensiert, wird sich das ändern. Das kann schnell gehen, denken Sie an die Rapperin Nicki Minaj, die gesperrt ist, weil sie kritische Fragen zur Covid-Impfung gestellt hat. Oder bei Ihnen in Deutschland diese Aktion, „#allesaufdentisch“ heißt sie, glaube ich, bei der Künstler Corona hinterfragen und gelöscht wurden. 

Konservativen und Rechten geht es nicht nur um freie Rede, sondern auch um Zugang zur Gesellschaft. Die Musik spielt nun mal dort, wo das Volk ist, und das ist bei den Diensten der „Big Tech“-Unternehmen. Wenn alle politisch Mißliebigen zu Gettr auswandern, befinden sie sich dann nicht im Ghetto der Selbstisolation? 

Miller: Gettr ist weder eine nur rechte noch eine nur politische Plattform. Bei uns schreiben Sportler, Schauspieler, Fachleute aller erdenklichen Bereiche über ihr Thema, ebenso einfache Leute über ihren privaten Alltag – doch alle befreit von der Angst, sie könnten zensiert werden. Und es gibt für alle ein weiteres gewichtiges Argument, zu uns wechseln: Datensicherheit! Die „Big Tech“-Giganten haben bekanntlich Zugriff auf die Daten von Milliarden Nutzern, die sie für ihre Zwecke verwenden. 

Statt von Facebook und Twitter sollen wir also künftig von Gettr unsere Daten mißbrauchen lassen? 

Miller: Nein, wir zweckentfremden keine Daten. 

Nein, natürlich nicht ... Wer soll Ihnen das glauben? 

Miller: Das ist unser Versprechen, für das wir einstehen! Und das ist einer der Faktoren, neben echter Meinungsfreiheit, Spitzentechnologie, tollen, benutzerfreundlichen Features und einer globalen Reichweite, die Gettr zur Erfolgsrakete unter den Sozialen Plattformen machen werden – glauben Sie mir! Laßt also die Downloads beginnen!  

Sie wollten auch den seit dem Sturm auf das Kapitol bei Facebook und Twitter gesperrten Donald Trump überzeugen, zu Gettr zu wechseln. Der „twittert“ nun aber künftig über den neuen Dienst „Truth Social“. Warum ist es Ihnen nicht gelungen, Trump zu gewinnen?  

Miller: Erst mal sage ich, herzlichen Glückwunsch,  daß er sich nun wieder ins Getümmel der sozialen Medien wirft! Aber obwohl ich eigentlich jedem rate, besser nicht gegen mich zu wetten – Präsident Trump ist nun mal schon immer ein großartiger Deal-Macher gewesen. Kurz, wir konnten uns momentan einfach nicht einigen. Schade, aber dafür können Sie sich auf tolle neue Erweiterungen freuen, die Gettr künftig anbieten wird, wie Livestreams, kurze Videos oder ein Zahlungssystem.

Bis Juni waren Sie langjähriger Berater Trumps, also haben Sie doch besten Zugang zu ihm.

Miller: Das stimmt, und ich werde ihn schon kommende Woche wiedersehen. Ich stieß 2016 zu ihm, und wenn man mich fragt, was ich retrospektiv hätte anders machen sollen, dann sage ich: Wir hätten für einen unabhängigen Onlinedienst sorgen sollen! Doch wir dachten, sie werden es nicht wagen, den Präsidenten zu sperren. Am Ende haben Sie es doch getan – und ich könnte mich selbst täglich treten.   

Zur Zeit spekuliert alle Welt, ob Donald Trump 2024 nochmals antreten wird – wird er? 

Miller: Er hat mir das zwar nicht wortwörtlich so gesagt, aber ja, das wird er. Sollten Sie also zu Hause noch Trump-Fan-T-Shirts haben, nicht wegwerfen!

Oder peppen Sie mit einem Versprechen ins Blaue nur Ihren Werbezug für Gettr auf?

Miller: Nein, denn falls Sie es noch nicht bemerkt haben, ich bin vollkommen überzeugt von der Qualität unserer Technologie und unseres Angebots und des wachsenden weltweiten Bedarfs daran. 

Hat Trump – dann fast 80 und vor allem als der Verlierer von 2020 – eine Chance, nochmal zu siegen? 

Miller: Auf jeden Fall! Was die meisten Leute nicht wissen, es gab so etwas schon: Von 1885 bis 1889 war der Demokrat Grover Cleveland Präsident. Dann verlor er gegen seinen republikanischen Herausforderer Benjamin Harrison. Bezwang diesen jedoch nach vier Jahren Pause und regierte eine zweite Amtszeit von 1893 bis 1897. Sicher, das war eine andere Zeit, zeigt aber, es ist möglich. Was heute für einen Sieg Trumps spricht: Er ist nach wie vor der bei den Bürgern beliebteste Politiker der Republikaner. Und nicht nur das, er schlägt derzeit auch Präsident Biden in fast jeder Meinungsumfrage. Weiter hat Trump alleine bereits mehr Wahlkampfspenden gesammelt als seine gesamte Partei zusammen. Dazu kommt, daß die Biden-Regierung die Sache einfach nicht im Griff hat. Denken Sie an das Afghanistan-Desaster, die Migrationskrise an der US-Südgrenze, das Außerkontrollegeraten der Kriminalität und der Hyperinflation. Und ich bin sicher, daß die Islamisten, etwa die Hamas, und vor allem China, Stichwort Taiwan, in naher Zukunft Krisen herbeiführen werden, denen Biden nicht gewachsen ist.

In Deutschland tritt ein Wahlverlierer ab, wie jüngst der geschlagene Armin Laschet. 

Miller: In den USA ist das eigentlich auch so – aber nicht Trump. Warum? Weil er anders als etablierte Politiker für Themen steht, die in Washington sonst übergangen werden, die im Volk jedoch verwurzelt sind, wie etwa Einwanderung oder Wirtschaft – aber eben nicht nur aus Sicht der Unternehmer, sondern der einfachen Bürger. Sie müssen verstehen, Trump wird bis heute von den Leuten nicht als ein Politiker gesehen. Sondern als ein Macher, als jemand, der Dinge in Ordnung bringt. 

Ihr Tip ist also, 2024 besiegt Trump Kamala Harris?

Miller: Interessant, daß Sie Biden gleich überspringen. Doch haben Sie damit recht. Allerdings, Harris? Nein! Ich sage Ihnen, er wird gegen Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom antreten. Denn der ist jung, aggressiv, geht aufs Ganze und ist extrem linksliberal. Das ist ein richtiger Ideologe, der viel fähiger ist als Kamala Harris, die verrückte Agenda der Linken, der Staat solle alles an sich reißen, umzusetzen. Dennoch wird Trump ihn schlagen.       

Und wie würde der bei einem Wahlsieg weitermachen? 

Miller: Wenn Sie ihn fragen, würde er sicher sagen, daß der größte Fehler seiner Amtszeit war, sich mit Leuten umgeben zu haben, die nicht seine Mission teilten – nämlich die Idee des Populismus: also die Macht dem Establishment zu nehmen – Stichwort: den Sumpf trockenlegen – und ans Volk zu übergeben. Schluß zu machen mit dem System der politischen Klasse, sich, wenn abgewählt, einen Versorgungsposten zu sichern und sich an der Politik zu bereichern. Nämlich erst in der Regierung, und danach, indem diese Leute ihr Wissen und ihre Kontakte aus dieser Zeit kapitalisieren. 

Aber Trump selbst hat die, die seine Mission teilten, 2016 rausgeworfen, etwa Steve Bannon. 

Miller: Ja, es gab kreative Turbulenzen in Trumps Personalpolitik. Aber später hat er Bannon vergeben, Trump schätzt seine Ideen und Fähigkeiten. Diesmal wird er auf Loyalisten setzen. Die Medien werden sagen, also auf „Ja-Sager“. Nein, Trump erwartet, daß sie eine Meinung vertreten. Ich erinnere mich an eine Person, die befragt, meinte: „Ich weiß nicht recht.“ Darauf er: „Nein! Wenn ich Sie in mein Büro hole, erwarte ich, daß Sie eine Meinung haben!“ Natürlich will er auch keine Menschen, die mit „nein“ ständig nur blockieren, aber auch keine Ja-Sager, sondern Leute, die wie er der Überzeugung sind, daß die Mission erfüllt werden muß.






Jason Miller, der Kommunikationsberater ist Vorstandschef des Twitter-Konkurrenten Gettr. Der Name des neuen Social-Media-Kurznachrichtendienstes ist eine Zusammenziehung von „get together“ („kommt zusammen“). Bis Juni war Miller fünf Jahre lang Berater, zuletzt auch Pressesprecher von Donald Trump. Zudem hatte er zeitweilig eine gemeinsame Radio-/Podcastshow mit Trumps früherem Wahlkampfstrategen Steve Bannon, arbeitete für CNN, beriet den Senator und Präsidentschaftskandidatenbewerber Ted Cruz und weitere republikanische Kandidaten für den US-Senat und das Repräsentantenhaus sowie den Gouverneur von Süd-Carolinien. Geboren wurde er 1975 in Seattle im Staat Washington.

Foto: App-Logos: „Facebook, Twitter etc. haben ihr Freiheitsversprechen nicht gehalten, zensieren in immer größerem Maß. Gettr cancelt nicht“