© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/21 / 05. November 2021

… und raus bist du
„Fall Wagener“: Der BND erteilt einem Ausbilder Hausverbot
Lukas Steinwandter / Moritz schwarz

Das Wintersemester ist noch jung, doch für Martin Wagener ist es mit der Lehrtätigkeit erst einmal schon vorbei. Die Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, an deren Fachbereich Nachrichtendienste der Professor Politikwissenschaften lehrt, verweigerte ihm vergangene Woche den Zugang zu den Einrichtungen, an denen Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND) sowie des Verfassungsschutzes akademisch ausgebildet werden.

Konkret erhielt Wagener am Montag ein Zutrittsverbot zum Zentrum für Nachrichtendienstliche Aus- und Fortbildung auf dem Gelände der Berliner BND-Zentrale. Seine Sicherheitsfreigabe sei „drastisch abgesenkt“, der Sicherheitsbescheid sei ihm jedoch nicht vollständig entzogen worden. Allerdings könne er die Online-Lernplattform nicht mehr nutzen, über die er mit seinen Studenten kommuniziere, erläuterte Wagener in einer Stellungnahme.

Hintergrund des faktischen Haus- und Lehrverbots sei ein Hinweis des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV). Dieses werfe ihm „Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ vor, so der Politologe. „Nicht nachvollziehbar“ nennt Wagener diesen Vorwurf gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Er stehe „ohne Einschränkung hinter dem Grundgesetz“ und habe stets für das politische System der Bundesrepublik geworben. „Es gibt nichts Besseres.“ Es sei „verrückt“, ihm vorzuwerfen, er wolle den Rechtsstaat stürzen, wo er doch gerade auf ihn angewiesen sei. Zudem setze er als „historisch doch halbwegs belesener Staatsbürger die Menschenwürde immer auf Platz eins“.

Daß der Bundesnachrichtendienst ihm ein Hausverbot erteilt habe, könne er indes nachvollziehen: „Das ist beim Vorliegen eines Hinweises die Standardprozedur“, erläutert der Wissenschaftler. Einen Fall von „Cancel Culture“ sehe er in der Maßnahme deshalb nicht.

„Ohne Beweise für den Vorwurf liegt üble Nachrede vor“

Vorwürfe macht Wagener dagegen dem Verfassungsschutz. Der verfolge ein klares Ziel: „die völlige Diskreditierung meiner Person mit anschließendem Verlust der Stelle“. Bedenklich sei, daß das Bundesamt den gestreuten Verdacht nicht weiter begründet habe. „Ich kann also nicht konkret argumentativ gegenhalten, um die Vorwürfe schnell aus dem Weg zu räumen. Der Kölner Behörde scheint es – dies ist das größte Ärgernis – gleichgültig zu sein, daß durch ihre Intervention mein Unterricht unterbrochen worden ist. Vielleicht hätte man den Vorwurf auch nach meinem Seminar erheben können, dann wären nicht noch die Studenten in Mitleidenschaft gezogen worden.“

Wagener will erst einmal abwarten, was der Verfassungsschutz inhaltlich gegen ihn ins Feld führt. „Eigentlich sehe ich das gelassen, da es wirklich nichts zu entdecken gibt. Aber: Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat in der Vergangenheit – vermutlich aus Übereifer – auch rechtliche Linien überschritten. Ich weiß nicht, wie weit die Kollegen gehen werden, um das ‘Problem’ zu lösen. Da sie durch meinen Schritt in die Öffentlichkeit unter Druck gesetzt worden sind, werden sie nun auf Biegen und Brechen versuchen, den Vorwurf durchzusetzen.“

Der Hochschullehrer vermutet, daß sein im Juli erschienenes Buch „Kulturkampf um das Volk“ (JF 43/21) der Grund für die Vorhaltungen des Verfassungsschutzes ist. Darin kritisierte Wagener, die Bundesregierung wolle die „deutsche Kulturnation“ durch eine „multikulturelle Willensnation“ ersetzen und daraus schließlich eine „Zwangsnation“ formen, in der die Politiker wie in der DDR danach strebten, „die menschliche Natur politisch neu zu programmieren“. 

In einem Interview der jungen freiheit zu seinem Buch (JF 40/21) hatte Wagener betont: „Die Bundesregierung betrachtet das kulturell verstandene deutsche Volk nicht mehr als Akteur oder gar als erhaltenswert. Sie denkt ausschließlich aus der Perspektive der Staatsbürgerschaft.“ Gegenüber der JF meinte er nun: „Mein Buch dürfte einen Nerv getroffen haben, da es wichtige Argumentationsmuster des Verfassungsschutzes angreift. Es scheint mir ganz offensichtlich zu sein, daß der Gegenschlag vor diesem Hintergrund erfolgt ist.“

Der Verfassungsschutz sieht das, was er als „Widerspruch zur Offenheit des Staatsvolksverständnisses des Grundgesetzes“ definiert, als unvereinbar mit dem Gleichheitsgrundsatz. Wagener hatte dies im Interview mit der JF kritisiert und BfV-Präsident Thomas Haldenwang vorgeworfen, er überschreite sein Mandat. Haldenwang wiederum hatte jüngst bei einer Anhörung im Bundestag nochmals vor rechtsextremen Tendenzen bei Angehörigen von Sicherheitsbehörden gewarnt. 

Wagener war bereits früher mit einzelnen Äußerungen oder Veröffentlichungen angeeckt, nicht zuletzt im eigenen Hause. Daher zweifelt er nicht daran, daß sich die Kritiker unter seinen Kollegen nun vor Freude die Hände rieben. „Da wird sich sicherlich schon jemand einen Sekt gegönnt haben“, teilte er der JF mit. Tatsächlich hatte sich der Fachbereichsrat in einer öffentlichen Stellungnahme von den Thesen des Professors distanziert und seinem Buch Unwissenschaftlichkeit vorgeworfen. 

War es vor diesem Hintergrund also nicht absehbar, daß sein neues Buch negative Konsequenzen für ihn haben werde? Wagener bejaht das. „Aber soll ich deshalb mit einer Art Selbstzensur an kritische Themen herangehen? Oder sie gleich ganz meiden? Dann wäre ich kein Professor mehr.“

Der BND ließ unterdessen auf Medienanfragen mitteilen, man äußere sich grundsätzlich nicht zu Personalangelegenheiten. Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz wollte keine Stellungnahme zu diesem konkreten Fall abgeben. 

Der emeritierte Dresdner Politikwissenschaftler Werner J. Patzelt meint mit Blick auf den „Fall Wagener“ gegenüber der JF: „Disziplinarische Maßnahmen gleich welcher Art kommen erst dann in Frage, wenn ein Hochschullehrer anfängt, seine Lehrfreiheit zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zu mißbrauchen.“ Fehlten jedoch Nachweise für den Wahrheitsgehalt eines derartigen Vorwurfs, liege üble Nachrede vor. „Und auf der Grundlage allein übler Nachrede Disziplinarmaßnahmen zu veranlassen, wäre eine Dienstpflichtverletzung des sich so verhaltenden Vorgesetzten.“

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