© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/21 / 05. November 2021

Am Gelde hängt doch alles
Koalitionsverhandlungen: Die Finanzpolitik gerät zum Stolperstein für die Gespräche der Ampel-Parteien
Jörg Kürschner

Im medialen Windschatten des UN-Klimagipfels, der CDU-Führungskrise und steigender Corona-Zahlen haben SPD, Grüne und FDP ihre Koalitionsverhandlungen hinter verschlossenen Türen fortgesetzt. Insgesamt 300 Politiker erarbeiten in 22 Fachgruppen Positionspapiere, die am Mittwoch kommender Woche einer „Hauptverhandlungsgruppe“ vorgelegt werden sollen. Noch offene Fragen sollen dann bis Ende November geklärt werden. Die Wahl von SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz zum Nachfolger von Angela Merkel (CDU) ist für die Nikolauswoche geplant.

Von besonderer Bedeutung sind Kerngruppen wie Finanzen oder Klima, da sie geprägt sind von programmatischen Differenzen und personellen Konkurrenzen. So sah sich FDP-Chef Christian Lindner trotz vereinbarter Vertraulichkeit veranlaßt, auf die Bedeutung der Pendlerpauschale hinzuweisen. Durch den Abbau von Subventionen dürfe die „arbeitende Mitte“ nicht zusätzlich belastet werden. Die Grünen wollen die steuerliche Erstattung für den Weg zum Arbeitsplatz begrenzen. Autofahrten seien klimaschädlich, konterte Grünen-Unterhändler Sven-Christian Kindler. Lindner stellte Subventionen für Plug-in-Fahrzeuge in Frage, „die keinen gesicherten ökologischen Nutzen haben“. Vieles spricht dafür, daß die Umrisse der künftigen Finanzpolitik erst am Ende der Beratungen erkennbar wird.

Grüner Parteinachwuchs droht mit Aus für die Ampel

Und ein zweites Mal suchte der FDP-Chef die Öffentlichkeit. Spitzenpolitiker von SPD und Grünen hatten den Liberalen den Schwarzen Peter zugeschoben und behauptet, geringere und mittlere Einkommen könnten voraussichtlich nicht entlastet werden, da die FDP Steuererhöhungen für Besserverdienende ausschließe. Daß eine Entlastung von Normalverdienern nur mit Erhöhungen an anderer Stelle finanzierbar wäre, sei ein Mythos. Im Sondierungspapier werden eine höhere Einkommens-, Unternehmens- und Mehrwertsteuer abgelehnt; zum Verdruß von Rot-Grün. Unterdessen ließ Lindner erkennen, daß er weiterhin das Finanzministerium in einer Ampel-Regierung anstrebt. Amerikanische Ökonomen hatten sich für eine expansive Finanzpolitik unter einem Grünen-Ressortchef Robert Habeck ausgesprochen; Lindner konterte, linke amerikanische Schuldenökonomen hofften geradezu auf Inflation, doch müsse die Ampel einer ausufernden Staatsverschuldung begegnen.

Es fällt auf, daß insbesondere FDP-Politiker ihre Positionen öffentlich markieren, anders als die Grünen oder gar Scholz, der sich bereits in zurückhaltender Kanzler-Attitüde gefällt. So bremste Ex-Generalsekretärin Linda Teuteberg beim sogenannten Spurwechsel, der erleichtert werden soll. Abgelehnte Asylbewerber, die hier einen Job haben und Steuern zahlen, sollen wie Arbeitsmigranten behandelt werden. Die FDP verlangt „klare Anforderungen an Sprachkenntnisse und berufliche Qualifikation“. Liegen diese und auch ein Asylgrund nicht vor, „muß konsequent die Ausreisepflicht durchgesetzt werden“, so Teuteberg, die bei den Ampel-Verhandlungen mit am Tisch sitzt. Die Grünen wollen dagegen höhere Zahlungen für Asylbewerber durchsetzen. Weit auseinander liegen Grüne und FDP auch bei der Frage, wie aktuell der illegalen Migration über Weißrußland und Polen nach Deutschland begegnet werden kann. Im Oktober hat die Polizei mehr als 4.200 unerlaubte Einreisen registriert.

In der Klimapolitik hatten die Grünen im Sondierungspapier die Erwartung untergebracht, der Kohleausstieg werde „idealerweise“ von 2038 auf 2030 vorgezogen. Was im Osten zum Teil auf erbitterten Protest stößt, ist der Grünen Parteijugend zu unbestimmt. Es müsse festgelegt werden, bis wann wie viele Gigawatt an Kapazität vom Netz gingen. Und: „Wir fordern den sofortigen Baustopp aller Autobahnen“. Der Parteinachwuchs drohte bereits mit einer Ablehnung der Ampel, deren Ergebnis von den Mitgliedern gebilligt werden muß. Der Kohleausstieg werde von einigen „auf originell Weise“ interpretiert, mokierte sich FDP-Generalsekretär Volker Wissing.

In der Verteidigungspolitik darf man gespannt sein, ob die künftige Koalition den Einsatz bewaffneter Aufklärungsdrohnen billigt. Im Sondierungspapier heißt es vage, die Ausrüstung der Soldaten und der Bundeswehr solle verbessert werden. Die FDP hält die Drohne, die schneller ist als ein Hubschrauber, für zwingend, die SPD scheint eine Zustimmung zu erwägen. Vor knapp einem Jahr war Befürworter Fritz Felgentreu als verteidigungspolitischer Sprecher zurückgetreten, da sich die Fraktion um eine klare Haltung drückte. Die Grünen stellen Bedingungen, befürworten einen Einsatz nur, wenn er der Sicherheit der Soldaten dient und keine völkerrechtswidrigen Ziele verfolgt.