© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/21 / 05. November 2021

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Eine Reise, die ist lustig ...
Paul Rosen

Zu den reiselustigsten Berufsgruppen zählt die der Bundestagsabgeordneten. Kein Kontinent ist vor deutschen Politikern sicher. Nach Kritik an der intensiven Reiselust wurde mehr Transparenz versprochen. Jetzt wird zweimal in der Legislaturperiode ein Bericht über die Auslandsdienstreisen abgegeben. Der jüngste noch vom bisherigen Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble (CDU) vorgelegte Bericht liest sich wie der Katalog eines Fernreiseveranstalters. Trotz Corona-Pandemie und Reiseverboten gelangen den Abgeordneten in der Zeit vom 1. Oktober 2019 bis zum 30. September 2021 noch 232 Auslandsdienstreisen. Das waren allerdings erheblich weniger als die 1.133 Reisen im Zeitraum Oktober 2017 bis September 2019.

Eine besonders ausgeprägte Lust an Fernreisen zeichnete den Bundestagsvizepräsidenten Wolfgang Kubicki (FDP) aus. Als Vorsitzender der Baukommission reiste er mit weiteren Mitgliedern der Kommission ins kanadische Ottawa, um dort den Umbau der historischen Parlamentsgebäude zu inspizieren. Um die Folgen des Austritts Großbritanniens aus der EU zu studieren, begab sich Kubicki nach Neuseeland und Australien.

Weltweit unterwegs waren auch die Mitglieder des Finanzausschusses, die sich in Berlin eigentlich mit dem Steuerrecht beschäftigen. Reiseziele der Ausschußmitglieder waren China und der Finanzplatz Hongkong sowie auf der anderen Seite des Planeten Washington in den USA, wo die Tagung des Internationalen Währungsfonds stattfand. Die Ausgaben der Bundesregierung für Entwicklungshilfe prüften Mitglieder des Haushaltsausschusses in Nigeria und Burkina Faso gleich vor Ort nach. Aus diesem Grund stand auch eine Reise in die mittelamerikanischen Länder Guatemala und Honduras auf dem Programm. Ob Indien die mittelfristig am schnellsten wachsende Demokratie weltweit bleiben werde, wollten Mitglieder des Wirtschaftsausschusses ebenfalls vor Ort begutachten. Der Ausschuß für Landwirtschaft wollte sich im Ausland über die Digitalisierung in der Landwirtschaft informieren. Ein näheres Ziel als Japan war offenbar nicht zu finden. Dort informierte man sich auch über die Verpflegung in Kindertagesstätten und Schulen.

Kurz vor Ausbruch der Corona-Pandemie zog es den Ausschuß für Gesundheit in die Ferne, und zwar nach Australien, wo man sich über die Digitalisierung des Gesundheitswesens informierte. Deprimierendes Ergebnis: Australien sei Deutschland ein gutes Stück voraus. Den Wildtierschutz studierten Mitglieder des Umweltausschusses in Tansania, wo bei der Gelegenheit eine ehemalige Residenz der deutschen Kolonialverwaltung besichtigt wurde, die gerade zu einer Bildungsstätte ausgebaut wird. Weitere Delegationsreisen gingen nach Südkorea und mehrmals nach Japan. Der Ausschuß für Tourismus nahm seinen Auftrag wörtlich. Seine Mitglieder wurden in Vietnam, Laos, in den Vereinigten Arabischen Emiraten und im Sultanat Oman gesehen. Kleiner Wermutstropfen für die Vielflieger: Die erworbenen Lufthansa-Bonusmeilen dürfen nicht für private Zwecke eingesetzt werden.